Tourismus:Rummelplatz Alpen

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Hängebrücken in schwindelnder Höhe, Erlebniswelten auf dem Gipfel: Im Wettbewerb um Touristen setzen Ferienorte auf die Eventisierung der Berge. Am Schilthorn gibt es jetzt einen "Thrill Walk".

Von Titus Arnu

Auf dem Piz Gloria gehen seltsame Dinge vor sich. Ernst Stavro Blofeld, Chef einer weltweiten Verbrecherorganisation, betreibt auf dem Alpengipfel eine geheime Forschungseinrichtung. Zehn schöne Frauen werden dort mittels Hypnose dafür trainiert, auf ein Funksignal hin weltweit Krankheitserreger zu verbreiten. Zum Glück gibt es da diesen smarten britischen Geheimagenten, der das Schlimmste verhindern kann - und sich am Piz Gloria eine spektakuläre Ski-Verfolgungsjagd mit den Bösen liefert.

Der Film "James Bond - Im Geheimdienst ihrer Majestät" hat dem Schilthorn, wie der Piz Gloria in Wirklichkeit heißt, seit 1969 zuverlässig Besucher gebracht. Gäbe es das berühmte Drehrestaurant nicht, im Film das Geheimquartier von Blofeld (Telly Savalas), wäre der knapp 3000 Meter hohe Berg im Vergleich zu den benachbarten Viertausendern des Berner Oberlandes tatsächlich keine Spitzenattraktion. Doch der einzige Bond-Film mit dem Australier George Lazenby als Agent 007 war ein PR-Glücksfall für das Schweizer Bergdorf Mürren. Bond auf dem Berg, das ist ein Publikumsmagnet: In der Gipfelstation gibt es mittlerweile eine "Bond-World" mit Helikoptersimulator, Foto-Points und einen Bob, in dem man eine Filmszene nachspielen kann.

Vom Schilthorn aus hat man einen grandiosen Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau, aber das ist vielen Leuten offenbar nicht spannend genug. Am Wochenende wurde dort ein "Thrill Walk" eröffnet - ein Cliffhanger der besonderen Art. Von der Mittelstation Birg aus führt der Steg um eine senkrechte Felswand herum. 200 Meter lang schmiegt sich die Konstruktion aus Stahl und Glas an den Felsen. 20 Meter des Weges führen über einen Glasboden, andere Abschnitte über Metallgitter, dazu gibt es einen Kriechtunnel für Kinder. "Der Thrill Walk wird unseren Gästen ein noch intensiveres Bergerlebnis bescheren", verspricht Christoph Egger, Direktor der Schilthornbahn AG. "Ein Spiel aus Luft, Gitter und Glas mit speziellen Elementen - Adrenalin pur!"

"Das sind Geschmacksverstärker, die von der Schönheit der Natur ablenken."

Action-Elemente wie der "Thrill Walk" sind in den Alpen derzeit in Mode. Nicht weit vom Schilthorn, am First bei Grindelwald, hat vergangenen Herbst der "First Cliff Walk" eröffnet. Der Gipfelrundweg besteht aus einer 40 Meter langen Ein-Seil-Hängebrücke, einer "Aufstiegsschnecke" und einem 45 Meter langen Aussichtssteg, hoch über einer steil abfallenden Felswand. Ganz in der Nähe, am Thunersee, spannt sich die 180 Meter hohe Panoramabrücke Sigriswil 340 Meter weit über eine Schlucht. Auf der Aiguille du Midi hoch über Chamonix können sich Besucher in eine Kabine aus Panzerglas stellen und schauen, ob sie eine Gänsehaut bekommen, wenn sie in knapp 4000 Meter Höhe über einem Abgrund stehen. Und am 3238 Meter hohen Titlis in der Zentralschweiz gibt es eine 100 Meter lange Hängebrücke, die über einen Abgrund führt. Die Eigenwerbung für den "Titlis Cliff Walk" lautet: "3041 Meter Höhe. 500 Meter Abgrund. 150 Schritte Herzklopfen".

Hängebrücken, Glas-Plattformen, Erlebniswelten, Action-Elemente, Zirkusattraktionen - im harten Wettbewerb um zahlende Kundschaft verwandeln immer mehr Ferienorte die Berge in einen Rummelplatz. Jede Saison eröffnet irgendwo in den Alpen die längste Seilrutsche Europas, die höchste Hängebrücke der Welt, der spektakulärste Felsensteg des Sonnensystems. Naturschützer und Verfechter des sanften Tourismus kritisieren diese Entwicklung scharf. Hanspeter Mair, beim Deutschen Alpenverein zuständig für Hütten, Naturschutz und Raumordnung, hält den alpenweit zu beobachtenden Trend, auf Jahrmarktattraktionen zu setzen, für ziemlich bedenklich: "Von dieser Eventisierung halten wir nichts, das sind Geschmacksverstärker, die den Blick von der Schönheit der Natur ablenken."

Auch als am Osterfelderkopf hoch über Garmisch vor sechs Jahren die Aussichtsplattform "AlpspiX" eröffnete, ein 24 Meter breiter Balkon aus Stahlgittern und Glas über einem 1000 Meter tiefen Abgrund, protestierten Naturschützer heftig. "Eine unnötige Verunstaltung der schönen bayerischen Gebirgswelt", wetterte der Bund Naturschutz - vergeblich. Wirtschaftlich ist die Plattform längst ein Erfolg. Aus Sicht der Bergbahnen ist das Ding eine zusätzliche Attraktion, die auch Besuchern im Rollstuhl ein Bergerlebnis ermöglicht. Und den Umsatz deutlich erhöht: Seit Eröffnung des Aussichtspunktes haben die Besucherzahlen im Sommer um fast 30 Prozent zugenommen. "Das sind allerdings keine nachhaltigen Investitionen", meint Hanspeter Mair vom Alpenverein, "da geht es doch nur um Halligalli. Das kann kein langfristiges Tourismus-Konzept sein."

Eine Fahrt mit der Seilbahn von Stechelberg im Lauterbrunnental auf das Schilthorn kostet hin und zurück 102 Franken, also knapp 100 Euro, ein vergleichbares Besucher-Plus würde sich bald auszahlen für die Betreiber. Und der Thrill Walk ist nur Teil einer groß angelegten Planung. Der ganze Berg soll bis 2017 aufgemöbelt werden, zusätzlich zum "Skyline Walk", zum "Flower Trail" und zum "007 Walk of Fame" werden Touristen ab nächster Saison auch einen "Adventure Trail" absolvieren können, einen Abenteuer-Parcours mit Klettersteig, Hängebrücken, Wackelbalken und "Adlerflug".

Wohin soll das führen? Der Alpenforscher Werner Bätzing warnt in seiner Streitschrift "Zwischen Wildnis und Freizeitpark" davor, die Bergnatur als Event zu vermarkten. Während die traditionelle bäuerliche Kulturlandschaft in den Alpen verwildere und zurückgedrängt werde, so Bätzings These, habe sich in wenigen Ghettos wie Ischgl oder Sölden ein Massentourismus herausgebildet, der letztlich zum "Erlebnis-Burn-out" führen könne. Bestes Gegenmittel: Zu Fuß auf einen einsamen Gipfel steigen, einfach mal in Ruhe hinsetzen und die Aussicht genießen - ein Thrill Walk der natürlichen Art, und völlig gratis dazu. Hohe Berge ohne Seilbahnstation, Abenteuersimulation und künstliche Erlebniswelt gibt es zumindest derzeit noch einige in den Alpen. Man muss kein Geheimagent sein, um sie zu finden.

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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