Totgeprügelter Junge:Fall um getöteten Raphael muss neu verhandelt werden

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Der BGH hat das Urteil gegen Raphaels Mutter und deren Ex-Partner aufgehoben. (Foto: dpa)
  • Der Fall um den totgeschlagenen kleinen Raphael aus Geislingen muss neu aufgerollt werden.
  • Der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, dass das Landgericht Ulm die Mittäterschaft der Mutter und ihres Ex-Partners nicht hinreichend begründet habe.

Aus dem Gericht von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war eines jener Urteile, die menschlich nicht leicht nachvollziehbar sind. Ein Paar aus dem baden-württembergischen Geislingen erschlägt einen kleinen Jungen, es ist der Sohn der Frau. Genauer gesagt: Nur einer der beiden ist unmittelbar für die tödlichen Schläge verantwortlich, an denen der kleine Raphael an jenem 12. März 2011 stirbt - er wird keine sechs Jahre alt. Der oder die andere hat vielleicht mitgemacht oder zugeschaut oder weggesehen, man weiß es nicht genau.

Das Landgericht Ulm fällt im Juni 2016 in seiner Beweisnot ein krummes Urteil mit einer milden Strafe und muss sogar noch neun Monate Rabatt geben, weil sich das Verfahren zu lange hingezogen hat. Am Ende werden beide zu je fünf Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung eines Schutzbefohlenen verurteilt.

Und nun auch noch dies: An diesem Dienstag hat der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben und eine neue Verhandlung vor dem Landgericht angeordnet.

"Es ist eine Entscheidung, die für uns sehr schwer war", bekannte der Senatsvorsitzende Rolf Raum bei der Urteilsverkündung. Der Senat habe mehrere Tage über den Fall beraten. Das Problem: Zwar ist nachgewiesen, dass der Junge bereits einen wochenlangen Leidensweg hinter sich hatte. Immer wieder wurde er massiv misshandelt, der Körper war so sehr mit Hämatomen übersät, dass seine Mutter und ihr Lebensgefährte ihn zuhause versteckten oder, wenn das nicht ging, die Flecken überschminkten. Oder behaupteten, er sei vom Fahrrad gestürzt. Der Junge war in einem jammervollen Zustand, nirgendwo war Hilfe in Sicht.

Dann, so hat es die Gerichtsmedizin festgestellt, schlug ihm jemand entweder mit der Faust massiv auf den Kopf oder hielt ihn an den Füßen und ließ ihn auf den Boden fallen. Und zwar einer der beiden Menschen, die ihn eigentlich beschützen sollten - Mutter oder Ersatzvater, wer genau, ist unklar.

Chance auf härteres Urteil ist vertan

Das Landgericht hatte sich so beholfen: Weil das Paar gemeinsam ein Klima von Verschleierung und massiver Gewalt geschaffen hat, lässt sich daraus auf eine Mittäterschaft schließen. Aus Sicht des BGH war das aber nicht tragfähig: Demnach müsse nachgewiesen werden, wer sich in welcher Weise an der konkreten Gewalttat beteiligt hat.

Der Senatsvorsitzende machte deutlich, dass am Ende einer neuen Verhandlung wieder eine Verurteilung stehen könnte. Er deutete sogar an, dass ursprünglich sogar eine Verurteilung wegen Mordes denkbar gewesen wäre: "Mordmerkmale liegen hier nicht fern."

Doch diese Chance ist vertan. Weil nicht die Staatsanwaltschaft, sondern allein die beiden Angeklagten Revision zum BGH eingelegt hatten, gilt das sogenannte Verschlechterungsverbot: Wer gegen seine Verurteilung die nächste Instanz anruft, der darf am Ende nicht härter bestraft werden als im ersten Durchgang. Es wird also - wenn es nicht sogar zum Freispruch aus Mangel an Beweisen kommt - bei höchstens fünf Jahren Haft bleiben. Dass die beiden damit relativ gut davon gekommen seien, das sei auch dem Senat bewusst, sagte Raum.

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