Titanic-Katastrophe:"Hart Steuerbord"

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Die Titanic musste sinken, weil der Steuermann einen schweren Fehler beging. So schreibt es zumindest die Britin Louise Patten in ihrem Buch, deren Großvater Offizier auf dem Riesenschiff war.

Fabian Mader

Vor bald 100 Jahren hat die Titanic einen Eisberg gerammt, und seither mangelt es nicht an Interpretationen, wie es dazu gekommen sein mag. Eine neue Lesart legt nun die Britin Louise Patten vor. Dafür hat sie nicht die übliche Form des Sachbuchs gewählt, sondern die des Romans. "Good as gold" heißt der, und ist, was die Sache spannend macht, verfasst worden von der Enkelin des ranghöchsten Überlebenden der Crew. Der Großvater Louise Pattens war der Zweite Offizier Charles Lightoller.

Warum musste die Titanic vor 100 Jahren sinken? Die Britin Louise Patten veröffentlicht in ihrem Buch nun ihre eigene Variante. (Foto: AP)

Den Ausführungen der auf Kolportageromane spezialisierten Autorin zufolge soll ein Missverständnis zwischen dem Ersten Offizier und dem Steuermann schuld daran sein, dass die Titanic 1912 mit einem Eisberg kollidiert ist. Der Steuermann soll das Schiff auf ihn zu-, statt von ihm weggelenkt haben, da er das Signal des Offiziers falsch interpretiert habe. Was ihr Großvater wusste, habe er nach seiner Rettung geheim gehalten, schreibt Patten. Nur seiner Frau habe er es erzählt und die wiederum der Enkelin.

Der Steuermann steuerte falsch

Louise Patten ist die Ehefrau von John Patten, dem ehemaligen britischen Erziehungsminister. Sie gilt als integer und hat jahrelang als gut bezahlte Beraterin einer Consultingfirma gearbeitet. Sie leidet weder an Geldsorgen, noch ist sie verdächtig, ihren Ruf ohne weiteres mit einer weiteren Theorie zum Untergang der Titanic aufs Spiel zu setzen. Nicht zuletzt sprechen historische Indizien für sie.

Patten zufolge gab es kurz vor dem Untergang der Titanic ein Treffen der vier leitenden Offiziere in der Kabine des Ersten Offiziers, bei dem ihr Großvater mit anwesend war. Dabei habe er zwei Dinge erfahren, die nahelegten, dass wohl nicht der Untergang der Titanic, aber doch das Ertrinken vieler Passagiere zu vermeiden gewesen wäre, wenn die Besatzung nicht entsetzliche Fehler gemacht hätte.

1912 gab es zwei verschiedene Systeme, nach denen Schiffe gelenkt wurden. Das eine war traditionell und leitete sich von der Segelschifffahrt her. Das andere kam mit der Einführung der Dampfschifffahrt in Gebrauch. Auf der Titanic galt das traditionelle System. Gab der Kapitän "Hart Steuerbord" an, lenkte der Steuermann nach Backbord. Das rührt daher, weil bei einem kleinen Segelschiff das Ruder am Heck gegen die gewünschte Richtung bewegt wird - wer das Schiff nach links lenken möchte, zieht das Ruder nach rechts. Das war auf der Titanic bereits anders, da in die Steuerung, wie heute üblich, eine Übersetzung eingebaut war. Wer nach links wollte, musste das Steuer nach links drehen. Dennoch verwendete man im Nordatlantik noch die alten Signale. Das war unproblematisch, solange alle die Befehle ins Gegenteil übersetzten.

Und so stellt es Louise Patten dar: Der Eisberg tauchte auf der Steuerbordseite auf. Der Erste Offizier gab den Befehl "Hart Steuerbord", denn er wollte Backbord vorbei. Der Steuermann geriet in Panik und lenkte nach Steuerbord - hielt sich also an das neue System, das er von der Ausbildung kannte. So steuerte die Titanic auf den Eisberg zu. Es dauerte zwei Minuten, bis der Fehlgriff korrigiert war.

Der Wasserdruck war immens

Natürlich ist es Spekulation, ob die Titanic dem Eisberg hätte ausweichen können, hätte es das Missverständnis nicht gegeben. Doch gab es weitere Fehler, glaubt Patten. Weil der Leiter der Schiffslinie Angst vor schlechter Presse hatte, habe er den Kapitän überredet, trotz der aufgerissenen Schiffswand weiterzufahren. "Mein Großvater empfand das als kriminell", sagte Patten dem Daily Telegraph.

In der Tat ist erstaunlich, warum das Schiff in nur zweieinhalb Stunden sank. Patten liefert die mögliche Ursache: Die Weiterfahrt erhöhte den Wasserdruck auf die kaputte Wand immens: "Das nächste Schiff war vier Stunden entfernt. Wäre die Titanic nicht weitergefahren, hätten mehr Menschen gerettet werden können."

Wolfgang Skudlarek vom "Titanic Informations Center Deutschland" hat von Gerüchten über Fehler durch die Befehlssysteme schon gehört. "Das System wurde erst nach der Katastrophe vereinheitlicht", sagt er.

Mehr will er über Pattens Buch nicht sagen - er muss es noch lesen.

Natürlich stellt sich die Frage: Warum erst jetzt? Warum hat Lightoller das nicht erzählt? Seine Enkelin sagt, er habe die Ehre der Besatzung schützen und Klagen vermeiden wollen. So blieb das Familiengeheimnis mehr als 98 Jahre lang unangetastet, bis Louise Patten die Idee für einen Roman über gesunkene Schiffe hatte, der dann zu einem Buch nur über die Titanic wurde, wie sie erklärt: "Wenn ich den Roman nicht begonnen hätte, hätte ich das Geheimnis mit ins Grab genommen."

© SZ vom 25.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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