Tim Wiese:Und Action

Lesezeit: 3 min

Als Torwart war Tim Wiese zu provokant und deshalb unbeliebt. Jetzt ist er Wrestler und Provokation sein Job, zur Freude des Publikums.

Von Benedikt Warmbrunn, München

Drei Stunden bevor er mit einem Bauchklatscher endgültig zum Helden der Halle wird, unterhält sich Tim Wiese mit seinem Fitnesstrainer. Die beiden stehen an einem roten Teppich im Untergeschoss der Münchner Olympiahalle, Wiese hat eine halbe Stunde lang Interviews gegeben, auf seinem auf der Sonnenbank edelnugatgebräunten Gesicht perlt der Schweiß, sein hellblaues, einen Knopf zu weit geöffnetes Hemd ist am Rücken dunkel verfärbt. Murat Demir, der Fitnesstrainer, sagt: "Lass mal hier Action-Bild machen!" Angespannte Oberarme, angestrengte Gesichtszüge. Klick.

Dann geht Wiese sich umziehen für seinen ersten Auftritt als Darsteller für Action-Bilder.

Donnerstagabend, der Beginn der zweiten Karriere von Tim Wiese, 34. In seiner ersten war er Fußball-Nationaltorwart, er war Pokalsieger mit Werder Bremen, er war ein Provokateur. Er trug rosafarbene Trikots, die mindestens eine Nummer zu klein waren. Er gab den harten Kerl, aber er übersah, dass die Zeit der harten Kerle im Fußball spätestens mit seiner Generation zu Ende ging. Am Ende saß er einen Vertrag in Hoffenheim aus und verheimlichte nicht, dass es ihm nur ums Geld ging, um mehr als zehn Millionen Euro in drei Jahren. Er war einer, der es einem nicht leicht machte, ihn zu mögen. Nun also: eine zweite Karriere als Wrestler.

Nachdem er 2014 in Hoffenheim aus dem Kader gestrichen worden war, widmete sich Wiese, der schon als Fußballer muskulös war, dem Bodybuilding. Bald kursierten die ersten Bilder, es gab viele Witze. Dabei war das ja zunächst einmal positiv, andere Ex-Fußballer fangen an zu saufen, zu zocken, sich zu langweilen. Wiese dagegen pflegt seinen Körper, er achtet auf seine Ernährung. Irgendwann fragte die World Wrestling Entertainment (WWE), ob er sich eine Karriere als Wrestler vorstellen könne, als eines dieser Muskelpakete also, die zu einer vorgegebenen Choreografie einen Kampf simulieren und bereits vorher wissen, wer am Ende gewinnt. Konnte er.

Am Donnerstag tritt Wiese erstmals an, es ist auch für die WWE ein großer Abend, sogar ein paar Prominente sind gekommen. Torsten Frings, Wieses früherer Mitspieler, sagt: "Wir haben alle am Anfang gelacht." Der Schlagersänger Andreas Gabalier sagt: "In jedem von uns steckt an klaaner Wrestler." Wiese hat sich ein paar Prahlereien überlegt, er sagt, dass er keine Aufregung kenne, er spricht von "absoluter Härte", von "Brutalität". Abgesehen von den Muskeln und der öligen Frisur hat er sich nicht verändert, das wäre ja auch schlecht fürs Geschäft. Und so wirkt er wie einer, der zu sich gefunden hat in dieser künstlichen Welt des Wrestlings, in der die Inszenierung alles ist, in der nicht der Beste gefeiert wird, sondern der, der am lautesten provoziert. Wiese muss sich nicht mehr verstellen, er darf jetzt hemmungslos grob und unkorrekt sein. Eine Kunstfigur war Tim Wiese allein in seiner Karriere als Fußballtorwart.

Wieses Match ist das siebte, er kämpft mit zwei anderen im Team, die sich nicht ausstehen können, aber das ist an diesem Abend nicht die Geschichte. Die Geschichte ist Tim Wiese. Anders als die anderen kommt er nicht im knappen Höschen, sondern in Jeans, Unterhemd, Sneakers. Selbst beim Wrestling grenzt er sich noch ab. Die Choreografie will es, dass er angepöbelt wird, dass er zurückpöbelt, dass er erst keine Chance hat. Irgendwann liegt er am Hallenboden, so lange, bis es ihm die Choreografie erlaubt, sich berappelt zu haben. Dann kehrt er in den Ring zurück, wirft die Gegner über die Schulter, rammt sie. Für seine 117 Kilogramm bewegt er sich flink und flüssig, gute Action-Bilder ergibt das. Den Kampf beendet er mit einem Big Splash, einem Bauchklatscher, bei dem er auf seinen am Boden liegenden Gegner springt. Die Zuschauer feiern ihn, er, der im Fußball zu hart war, zu derb, zu unangepasst, ist wieder ein Held.

Wiese klettert auf die Seile, in der Hand eine Deutschlandfahne, er will sie nach oben reißen, merkt erst spät, dass er auf ihr steht. Schließlich reißt der Wrestler Wiese, dessen Namen die Fans noch lange rufen werden, die Fahne nach oben, verkehrt herum.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: