Sturm:"Xavier" löst Chaos aus

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Das Sturmtief lässt Bäume umstürzen und deckt Dächer ab. In Norddeutschland sterben mindestens sieben Menschen. Die Bahn stellt den Betrieb ein, Tausende Reisende kommen nicht oder nur verspätet an ihr Ziel.

Von Peter Burghardt und Jens Schneider, Hamburg/Berlin

In Hamburg stürzt ein Baum auf ein Auto - die Fahrerin wird dabei nur leicht verletzt. Andere hatten am Donnerstag weniger Glück und kamen bei vergleichbaren Unfällen ums Leben. (Foto: Florian Büh/action press)

Nichts geht mehr. "Wegen Unwetter ist der Zugverkehr komplett eingestellt", steht am Bahnhof Friedrichstraße im Herzen von Berlin. Die Anzeige gilt für alle Richtungen. Nichts geht in Richtung Westen, nach Potsdam, Magdeburg, Hannover - umstürzende Bäume blockieren die Strecke. Dasselbe in Richtung Osten, nach Frankfurt an der Oder. Hunderte stranden allein an den Bahnhöfen in Berlin, stehen ratlos an den Bahnsteigen. Irgendwann an diesem frühen Donnerstagabend werden sie die Nachricht auf dem schleppend aktualisierten Online-Portal der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG erfahren: Es fährt wohl an diesem Abend kein Zug mehr. Rund um die Hauptstadt steht der Verkehr still, überhaupt alles.

Das Sturmtief Xavier ist am Donnerstag mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 113 Kilometer in der Stunde über Deutschland gefegt. Dabei hat der Orkan nicht nur Chaos im Berufsverkehr ausgelöst, die Folgen waren mancherorts noch sehr viel schlimmer. In Norddeutschland kamen bis zum Abend mindestens sieben Menschen ums Leben, allesamt getötet in ihren Fahrzeugen durch umstürzende Bäume.

In Berlin mussten die Passagiere gerade gelandeter Flugzeuge erst einmal an Bord bleiben

Die erste Meldung traf am Nachmittag aus Hamburg ein, im Stadtteil Horn fiel ein Baum auf ein Auto, die Beifahrerin kam dabei ums Leben. Auch im Berliner Stadtteil Tegel starb eine Frau, als ein Baum auf ihr Auto stürzte. In Mecklenburg-Vorpommern wurde der Fahrer eines Lastwagens auf der Bundesstraße 191 in Neu-Karstädt bei Schwerin von einem umstürzenden Baum erschlagen, sagte ein Polizeisprecher. In Brandenburg kamen vier Menschen in ihren Fahrzeugen um: Bei Gransee in der Uckermark sei ein Ast in eine Windschutzscheibe geflogen und habe einen Menschen getötet, zudem wurde in derselben Region eine Frau in einem Auto von einem Baum erschlagen, teilte die Polizei in Potsdam mit. Weitere Menschen wurden durch den Sturm verletzt, manche von ihnen schwer. Wer mit dem Auto zum Beispiel durch Niedersachsen fuhr, der kam sich vor wie in einem schlechten Katastrophenfilm: Die Bäume bogen sich unter orkanartigen Böen, Äste lagen auf dem Asphalt, und man musste Glück haben oder Slalom fahren, damit keine dicken Exemplare aufs Dach knallten. Viele Straßen waren blockiert, Fahrer standen im Stau oder irrten in ihren Fahrzeugen über Feldwege. In Berlin wurde zwischenzeitlich der S-Bahn-Verkehr eingestellt, dort und in Hamburg fuhren auch teilweise auch einige U-Bahnen nicht mehr, da manche Linien oberirdisch verlaufen. Weil die Berliner Feuerwehr mit den eingehenden Notrufen nicht mehr hinterher kam, wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Die Internationale Gartenausstellung wurde ebenso geschlossen wie der Funkturm, der Zoo, Schlösser und Schulen.

Die Hamburger Feuerwehr hatte bereits mittags die Bevölkerung dazu aufgefordert, wegen des Sturms nicht vor die Tür zu gehen. Allein in der Hansestadt zählte die Feuerwehr mehrere Hundert sturmbedingte Einsätze. Nach Einschätzung der Meteorologen vom Deutschen Wetterdienst (DWD) wurde in Hamburg Windstärke elf gemessen. Auch in Hannover rückten die Einsatzkräfte wegen umgestürzter Bäume und abgerissener Dachverkleidungen aus. Am meisten Regen bekam der Ort Rendsburg westlich der Landeshauptstadt Kiel ab. Dort fielen innerhalb von 24 Stunden 61 Liter Regen pro Quadratmeter.

Die Bahn stellte den Zugbetrieb in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen und auch den S-Bahnverkehr in Hamburg vorübergehend komplett ein, auch Fernverbindungen waren betroffen. Oft waren zuvor Bäume oder Äste auf die Gleise oder in die Oberleitungen geweht worden. Auch Teile von Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern waren von Zugausfällen tangiert. Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) hat die Entscheidung kritisiert: "Dass die DB Netz in Hannover zentral und pauschal für ganz Norddeutschland den Bahnverkehr gestoppt hat, kam für uns ohne Vorwarnung und ebenso überraschend wie die Dauer der Sperrungen", sagte er.

Etliche Flugverbindungen fielen ebenfalls aus, unter anderem an den Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld. Zeitweise konnten die Passagiere gelandeter Flugzeuge die Maschinen nicht verlassen. Kurz vor 19 Uhr wurden in Berlin wieder Flugzeuge abgefertigt. In Wilhelmshaven hob Xavier einen 1000 Tonnen schweren Hafenkran aus den Angeln und stürzte ihn ins Fahrwasser der Jade. Der Verladebetrieb für den Kohleumschlag an der Niedersachsenbrücke wurde vorsorglich eingestellt.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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