Stilkritik:Die Kaffee-Urne

Foto: Danilo Donadio/AP (Foto: Danilo Donadio)

Die Asche des Italieners Renato Bialetti ist soeben in einer Kaffeekanne beigesetzt worden. Stillos? Im Gegenteil!

Von Martin Zips

Möchte man den feinen Unterschied zwischen Italien und Deutschland beschreiben, so ist das hier ein gutes Beispiel. Auf einer Beerdigungsfeier im Piemont segnet ein katholischer Priester eine Espressokanne, in der sich die Asche des Kocher-Produzenten Renato Bialetti befindet. Herr Bialetti - er wurde 93 Jahre alt - lässt sich also in seiner eigenen Kanne beerdigen. Die Trauergemeinde steht mit heiligem Ernst daneben, niemand verzieht eine Miene. Eine großartige Mischung aus Humor und Tragik, aus Selbstironie und Respekt, aus Sinnlichem und Übersinnlichem. Die Urne, der achteckige "Moka Express", findet sich auch 83 Jahre nach seiner Erfindung (von Bialettis Vater Alfonso) in fast jedem italienischen Haushalt, meist freilich zum Brühen von Heißgetränken. Renato hatte aus der Kanne, die sein Vater einst auf regionalen Märkten verkaufte, einen Weltbestseller gemacht. Warum sich also nicht in ihr beerdigen lassen? Alles ganz schlüssig und wunderbar - und hierzulande doch undenkbar. Denn was in Italien eine Oper ist, das ist in Deutschland ein Melodram.

Wäre es aber nicht schrecklich schön, wenn zumindest der deutsche Unternehmer etwas mehr Souveränität über den Tod hinaus beweisen könnte? Bisher erschien es undenkbar, dass sich der Erfinder des Bobbycars in einem ebensolchen beerdigen lässt. Auch Playmobil-Häuser, eine Aldi-Tüte oder Fischerdübel schieden für die standesgemäße Trauerfeier weitgehend aus. Dabei, das zeigt Herr Bialetti, ist eh alles eins. Der Mensch. Das Leben. Das Produkt. Notfalls könnte man sich sogar in Zeitungspapier einwickeln lassen.

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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