Sterbehilfe:Geschäfte in der Grauzone

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Der Sterbehilfeverein Dignitas will, dass der assistierte Suizid in Deutschland straffrei bleibt, wenn er nicht aus selbstsüchtigen Motiven geschieht. Jetzt soll ein Präzendenzfall geschaffen werden.

Matthias Drobinski

Uwe Christian Arnold ist pensionierter Urologe aus Berlin - und sucht einen todkranken Menschen, der sterben möchte. Dem will der 62-Jährige ein tödliches Gift vorsetzen - und danach die juristischen Folgen tragen: In Deutschland ist es verboten, jemanden auf Verlangen zu töten. Ärzte dürfen keine aktive Sterbehilfe leisten, und ein Arzt, der jemandem einen Sterbetrank mixt, wird wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt.

Ein würdevoller Tod ist keine Selbstverständlichkeit. Viele Menschen haben Angst vor dem Sterben, sie fürchten, zum Objekt der Apparate zu werden, sinnlos zu leiden oder in einem Pflegeheim zu verdämmern. (Foto: Foto: dpa)

Dagegen will Doktor Arnold vor Gericht kämpfen. Er ist stellvertretender Vorsitzender des deutschen Ablegers des Sterbehilfevereins Dignitas; er will, dass der assistierte Suizid wie in der Schweiz straffrei bleibt, wenn er nicht aus selbstsüchtigen Motiven geschieht.

Wie uneigennützig die Motive des Vereins und seines Vorsitzenden Ludwig A. Minelli sind, ist umstritten: Man berechne nur die Kosten, wenn man einen Lebensmüden zum Tode bringt, sagt Dignitas. Kritiker sprechen von einem guten Geschäft mit dem Tod. Egal: Gelingt es Arnold, seinen Plan umzusetzen, dürfte die Sterbehilfedebatte in Deutschland eine neue Dimension bekommen.

Sterben war noch nie eine schöne Angelegenheit; dass jemand friedlich und lebenssatt stirbt, wie es von Israels Stammvater Abraham heißt, ist die Ausnahme. Wer stirbt, hat Schmerzen und Angst, sein Verfall wird quälend. Im Mittelalter waren die Menschen "mitten im Leben vom Tod umfangen", wie Notker von Gallen schrieb. Damals krepierten sie an Blinddarmentzündungen, Wurmkrankheiten und Pferdetritten, ohne Betäubung, im Dreck und oft genug allein.

Heute endet das Leben der meisten Menschen auf der Intensivstation oder im Sterbezimmer, und die einst scharfe Grenze zwischen Tod und Leben wird zu einer Grauzone. Herztote werden reanimiert; setzen Herz und Lunge aus, übernehmen Maschinen ihre Arbeit. Das rettet viele Leben, aber immer wieder zieht die Intensivmedizin das Sterben bis ins Unerträgliche hinaus.

Davor haben viele Menschen Angst. Sie fürchten, zum Objekt der Apparate zu werden, sinnlos zu leiden, in einem Pflegeheim zu verdämmern. Dann lieber rasch und selbstbestimmt sterben, sagen sie sich. Einer Forsa-Umfrage zufolge finden 74 Prozent der Deutschen es richtig, dass ein Arzt einem Patienten auf dessen Wunsch hin ein tödliches Mittel gibt - eine Erhebung des Emnid-Instituts zeigt aber die Grenzen solcher Zahlen: Die Meinungsforscher boten als Alternative die Versorgung in einem Hospiz an, da waren nur 35 Prozent für die aktive Sterbehilfe und 56 Prozent für die schmerzlindernde Behandlung im Hospiz.

Hier hat es in den vergangenen Jahren auch große Fortschritte gegeben: In den meisten Krankenhäusern werden Sterbenden auch dann Schmerzmittel gegeben, wenn diese das Leben verkürzen. 1300 ambulante Hospizinitiativen und 200 Hospiz-Stationen gibt es inzwischen in Deutschland.

Das ist immer noch zu wenig - nur gut vier Prozent der Sterbenden finden einen Hospizplatz, 2,5 Prozent eine professionelle Palliativ-Versorgung, also eine schmerzlindernde Betreuung. Ärzte, die Apparate abstellen, bewegen sich auf ungesichertem Terrain, auch wenn ihr Patient einer der wenigen mit einer Patientenverfügung sein sollte.

Die Zahl der Sterbehilfe-Befürworter wächst

Deshalb sagen die Befürworter der Sterbehilfe: Trotz aller Fortschritte bleiben immer Fälle, in denen einem Menschen der Wunsch nicht abgeschlagen werden darf, ein unerträgliches Leiden zu beenden; sie fordern liberale Regelungen wie in der Schweiz - oder wie in den Niederlanden, wo unter bestimmten Umständen sogar aktive Sterbehilfe straffrei bleibt. Sie führen erschütternde Berichte von Menschen an, die, begleitet von ihren Angehörigen, Leiden und Leben beendeten.

Solche Fälle gibt es, das wissen auch die Gegner der Liberalisierung: Kirchenvertreter, Angehörige der Hospizbewegung, Ärztevertreter. Trotzdem darf die aktive Sterbehilfe aus ihrer Sicht nicht liberalisiert werden, sonst steigt bald der Druck auf alte und kranke oder schwerbehinderte Menschen, dem Leben ein Ende zu setzen.

Dennoch: Die Zahl der Sterbehilfe-Befürworter wächst, sie war vor Jahren noch eine Randgruppe, ist nun in der Mitte angekommen; selbst der prominente Theologe Hans Küng vertritt die Ansicht, dass eine aktive Hilfe zum Sterben ethisch vertretbar sein kann. Die Suche des Dignitas-Arztes nach einem geeigneten Suizidwilligen löst auch deshalb eine so emotionale Diskussion aus.

Die Innenexperten Wolfgang Bosbach (CDU) und Dieter Wiefelspütz (SPD) fordern nun ein Verbot des assistierten Suizids, denn die Arbeit des Vereins sei "sittenwidrig und auch strafwürdig", wie Bosbach sagt. Die CDU-Abgeordnete Maria Fischbach fordert gar ein Verbot des Vereins.

Das Beste wäre allerdings, dass der Arzt Arnold niemanden findet, der sich um der Sache willen vergiften lässt.

© SZ vom 20.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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