Sterbehilfe:"Dem anderen den Tod geben"

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Der Fall einer Mutter, die ihrem gelähmten Sohn Sterbehilfe leisten wollte, erschüttert Frankreich.

Von Gerd Kröncke

(SZ vom 26.9.2003) - Eine Mutter hat versucht ihren Sohn umzubringen und es ist ihr fast gelungen. Danach ist sie festgenommen worden. Aber ihr Kind, ein junger Mann von 21 Jahren, ist nicht gestorben, wie sie gehofft hatte, noch nicht. Auf einer Intensivstation kämpfen die Ärzte um sein Leben.

Dies ist der Fall des Vincent Humbert: seit er nach einem schweren Unfall vor drei Jahren aus dem Koma erwachte, ist er gelähmt und blind und stumm, kann nicht mehr riechen und nichts mehr schmecken und wird künstlich mit einer Sonde ernährt. Nur noch hören kann er und ist zudem bei klarem Verstand.

Vincent Humbert will sterben, schon seit langem, und darf es nicht. Ende vorigen Jahres hatte er seiner Mutter einen Brief an Jacques Chirac diktiert, der die Menschen in Frankreich bewegt hat.

"Bei Ihnen, Herr Präsident, liegt das Recht der Begnadigung", hieß es darin "und ich erbitte von Ihnen das Recht, zu sterben."

Am Donnerstag lebte Vincent Humbert noch. In der Republik kann nicht einmal der Staatspräsident über Leben und Tod entscheiden. Jacques Chirac und seine Frau Bernadette haben sich immer mal wieder bei Marie, Vincents Mutter, gemeldet, der Präsident hat auch zu Vincents Geburtstag angerufen, ohne dies groß publik zu machen.

Jacques Chirac ist gegen die Legalisierung der Euthanasie, auch sein Gesundheitsminister Jean-François Mattei hat bekundet, es könne in Frankreich nicht Gegenstand eines Gesetzes sein, "dass ein Mensch dem anderen den Tod gibt".

Das ist nicht Mehrheitsmeinung in Frankreich, bei Umfragen sprechen sich regelmäßig Mehrheiten für eine Euthanasie aus, da wo es keine Hoffnung mehr gibt. In dieser moralischen Frage folgt der Präsident seinem Gewissen.

Vincent Humbert liegt in einem Krankenhaus in Berck oben an der Küste, seine medizinische Versorgung ist ohne jeden Tadel. Der junge Mann konnte bis jetzt ganz leicht den Kopf bewegen, um ein Ja oder Nein anzudeuten und er konnte den kleinen Finger rühren. So verständigt er sich mit seiner Mutter, die ihm das Alphabet vorträgt und ihren Sohn die verschiedenen Buchstaben signalisieren lässt.

"Du hast mir das Leben gegeben", hat ihr der junge Mann auf diese Weise gesagt, "du wirst mir auch den Tod geben." Es hätte vielleicht die Möglichkeit gegeben, den Tod außer Landes zu finden, da, wo die aktive Sterbehilfe möglich ist. Aber, so zitiert die Mutter ihren Sohn: "Ich bin ein französischer Bürger, in Frankreich möchte ich sterben."

Er sei sogar etwas ungehalten gewesen über die freundlichen Angebote des Präsidenten, weil er sich eine andere Antwort erhofft hatte. Jacques Chirac hatte, wie Marie Humbert wohl zu würdigen weiß, angeboten, das tägliche Leben ihres Sohnes zu verbessern. Aber Vincent Humbert wollte keinen sprechenden Computer, wollte auch nicht in ein komfortableres Zentrum verlegt werden. Er will einfach nicht mehr leben.

Diese Woche hat Madame Humbert in Paris das Buch ihres Sohnes vorgestellt, das er mit Hilfe eines Journalisten zu Papier gebracht hat. "Je vous demande le droit de mourir", lautet der Titel, "Ich bitte Sie um das Recht zu sterben". Ein Pariser Verlag hat alle Register zum Start gezogen, hat Interviews mit Marie Humbert in den Medien arrangiert, und irgendwie ist die Geschichte für die Büchermacher natürlich auch ein Geschäft.

Die Reporter hat es irritiert, dass ihnen verwehrt wurde, Bilder von Marie Humbert zu machen. "Alle Foto-Rechte sind für Marie und ihre Familie reserviert", versicherte ein Sprecher. Auf der Website des Verlags Michel Lafon hieß es: "Wenn dieses Buch erscheint, hat Vincent diese Welt vielleicht schon verlassen."

"Ich werde ihm helfen zu sterben, und nur er und ich wissen das genaue Datum" sagte Vincents Mutter diese Woche in einem Interview mit der Zeitung Le Parisien. Das Buch, hatte Vincent gesagt, werde er in diesem Dasein ohnehin nicht lesen, denn in Wirklichkeit sei er gestorben am 24. September des Jahres 2000 in einer Kurve auf einer Landstraße des Departements Eure.

Der Versuch am Mittwoch, ihr Kind mit einer Injektion umzubringen, ist seiner Mutter offenbar nicht auf Anhieb geglückt. Dass sie dafür ins Gefängnis gehen könnte, ist ihre allerletzte Sorge.

Mit ihrem Gott ist sich die gläubige Katholikin im Reinen, auch wenn sie neben mancherlei Zuspruch bisweilen kritische Post von Christen bekommen hat. Ein paar Bibeln sind ihr zugeschickt worden. Dann dachte sie, wenn die Sanitäter ihren Sohn an jenem Septemberabend nicht ins Leben zurückgeholt hätten, "wäre er jetzt im Himmel".

Für sie ist es unmenschlich, ihr Kind immer weiter leiden zu lassen. Sie ist nun unter Aufsicht von Psychiatern und durfte am Donnerstag ans Krankenbett ihres Sohnes. Der weiß nun wohl nicht mehr, dass er noch lebt; er liegt in einem schweren Koma. Der Anwalt der Familie nennt die Tat der Mutter einen Akt der Liebe.

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