Seligsprechung von Papst Paul VI.:Stiller Reformer

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Papst Paul VI. mit dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy 1963 im Vatikan. (Foto: AP)

Er verzichtete auf die Sänfte und erneuerte beharrlich das Kirchenrecht: Paul VI. war der erste wirklich moderne Papst - gegen die Pille sprach er sich dennoch aus. Nun wird er selig gesprochen.

Von Matthias Drobinski

Den empörten 68ern war er der "Pillen-Paul", weil er in seinem Lehrschreiben "Humanae Vitae" just im Revolutionsjahr 1968 die Pille und andere künstliche Verhütungsmittel als moralisch verwerflich brandmarkte, gegen den Rat der meisten Theologen und Bischöfe. Enttäuschten Theologen wie Hans Küng war er der ängstliche Bürokrat, der sich nicht traute, die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils voranzutrieben. Den Traditionalisten schließlich galt er als seelenloser Modernisierer, der die altvertraute Messe abgeschafft und überhaupt die Wahrheit der Kirche an den Zeitgeist verkauft hatte.

Keine Frage: Giambattista Montini, der 1963 zum Papst gewählt wurde und den Namen Paul VI. annahm, hat es schwer im Urteil der Geschichte. Er wirkt blass, der 1897 geborene Sohn eines katholischen Verlegers. Sein Vorgänger Johannes XXIII. berief das Konzil ein und beendete damit die Erstarrung seiner Kirche, die Menschen liebten den kleinen, dicken, menschlichen und bescheidenen Papst.

Johannes Paul II., der ihm nach dem überraschenden Tod von Johannes Paul I. folgte, half, den Eisernen Vorhang zwischen Ost und West einzureißen, er war ein Charismatiker, der die Massen begeisterte, wie umstritten seine innerkirchlichen Entscheidungen auch sein mochten.

Bruch mit katholischen Traditionen

Paul VI. war ein stiller Intellektueller, ein Kirchenrechtler und Philosoph, der seine Karriere vor allem im kirchendiplomatischen Dienst gemacht hatte, als Vertrauter von Papst Pius XII., der ihn dann aber überraschend zum Erzbischof von Mailand gemacht hatte. Er begeisterte keine Massen und hielt keine Volksreden. Das bekannteste Foto zeigt ihn kurz nach der Wahl zum Papst, da hat er den Blick gesenkt und die Hand schüchtern bis vor die Brust zum Segen erhoben.

Und doch täte man Paul VI. Unrecht, wenn man ihn nur aus dieser Perspektive anschauen würde. Montini war einer dieser stillen Reformer, die hartnäckig hinter den Kulissen arbeiten, Gegner zusammenbringen und Kompromisse möglich machen, die Prozesse strukturieren. Auf dem Konzil hat er nur zwei Mal geredet, und doch wurde er zunehmend wichtig für die Kirchenversammlung, weil er ihr auf seine Art eine Richtung gab, so überzeugend, dass die Kardinäle ihn dann zum Papst wählten, als Johannes XXIII. starb.

Er war der Papst, der die dreifache Krone ablegte, die seine Vorgänger getragen hatten, der sich nicht mehr in der Sänfte tragen ließ. Er setzte nach dem Konzil die Liturgiereform um, gegen alle Widerstände: Die Volkssprachen ersetzten das Latein, die Priester zelebrierten mit dem Gesicht zum Volk. Der Abschied von der gewohnten Liturgie hätte die Kirche zerreißen können - es lag auch an Paul VI. dass dies nicht passierte.

Konservativ beim Thema Sexualität

Er war der Papst, der 1967 mit "Populorum progressio" die erste entwicklungspolitische und - aus heutiger Sicht - globalisierungskritische Enzyklika veröffentlichte, der als erster Papst vor den Vereinten Nationen redete und auch dort weltweite Gerechtigkeit zwischen den Völkern forderte. Er und sein Vertrauter Agostino Casaroli, der spätere Kardinalstaatssekretär, betrieben eine vorsichtige Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion - es war der Bruch mit der bisherigen katholischen Auffassung, dass die Kommunisten immer schlimmer seien als alle faschistischen Regimes, ob in Francos Spanien oder in Lateinamerika.

Er war, wie es der Münchner Kardinal Reinhard Marx sagt, der "erste wirklich moderne Papst", ein belesener Mann, einer, der ohne groß Aufhebens zu machen, das Kirchenrecht reformiert und mit einem Nebensatz aus dem "Heiligen Offizium", der einstigen Inquisition, die "Kongregation für die Glaubenslehre" macht.

Und trotzdem schwebt das Unglückliche über seinem Pontifikat. Warum er sich entgegen der Mehrheit seiner Berater für das Verbot künstlicher Verhütungsmittel entschied, ist bis heute nicht so recht klar: Vielleicht hatte er tatsächlich den Eindruck, dass nach all den umstrittenen Reformen der vergangenen Jahre die katholische Kirche in diesem, ihm fremden Bereich streng und konsequent sein müsse, in dem gerade rund um 1968 eine nicht nur Katholiken verstörende Libertinage einzog. Es war der Beginn der Sprachlosigkeit zwischen Kirche und Kirchenvolk, wenn es um Sexualität, Ehe, Familie ging - und es hat seine eigene Merkwürdigkeit, dass ausgerechnet an jenem Wochenende, an dem die Bischöfe über die Überwindung dieser Starre reden, ihr Urheber selig gesprochen wird.

Die letzten Jahre seines Pontifikats kränkelte Montini, er, der bislang so strukturierte Mensch, wirkte zunehmend hilflos und überfordert im Amt. Am 14. Juli 1978 brach er von Rom aus zur päpstlichen Sommerresidenz Castelgandolfo auf, gesundheitlich angeschlagen, immer noch getroffen von der Ermordung des italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro im Mai. Ein paar Tage später erleidet er einen schweren Herzinfarkt; er stirbt am 6. August.

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