Schweiz:Schreckensbild im Kopf

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Am Tatort im Hardtwald von Karlsruhe: der Gedenkstein, der an Antonella Bazzanella erinnert. (Foto: Uli Deck/dpa)

Weil sich die Erinnerug an die Tat nicht verdrängen lässt, gesteht ein Mann, eine Eisverkäuferin getötet zu haben. Die Ermittler hatten 28 Jahre lang nach ihm gesucht. Nun hat ein Gericht den Mann verurteilt.

Von Charlotte Theile, Zürich

Im Prozess um den Tod der italienischen Eisverkäuferin Antonella Bazzanella hat das Landgericht Karlsruhe am Freitag sein Urteil gefällt. Der 48 Jahre alte deutsche Angeklagte wurde wegen Mordes zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt. Da er im Juni 1987, als die Tat begangen wurde, erst 20 Jahre alt war, wurde das Jugendstrafrecht angewandt. Das Gericht entsprach Staatsanwaltschaft und Nebenklägern, die beide sechs Jahre Haft gefordert hatten. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert: Zwar hatte der Angeklagte gestanden, dass er die damals 25-jährige Italienerin getötet habe, dies sei jedoch nicht als Mord, sondern als Totschlag zu bewerten. Und Totschlag verjährt - im Gegensatz zu Mord.

Der Angeklagte hat die Tat gestanden, was ihm strafmildernd ausgelegt wurde. Im Februar 2015 hatte der in Basel lebende Mann eine Polizeidienststelle aufgesucht und dort nach der Kriminalpolizei verlangt. Kurz darauf wurden die Karlsruher Ermittler informiert, die seit 1987 nach dem Mann fahndeten - ohne ihm jemals auf die Spur gekommen zu sein.

Im Prozess, zu dem auch die Angehörigen der getöteten Frau aus Italien angereist waren, wurde die Tat in den vergangenen Tagen noch einmal aufgerollt.

Der 21. Juni 1987 war ein Sonntag, im Schlossgarten sangen Tina Turner und Joe Cocker, die Stadt war voll mit Besuchern. Eisverkäuferin Antonella Bazzanella hatte einen freien Tag, sie war mit dem Fahrrad unterwegs. Der Angeklagte, damals in einer Jugendhilfe-Einrichtung untergebracht, hatte nach eigener Aussage einige Liter Bier getrunken, als er mit der fünf Jahre älteren Frau zusammentraf.

Sie habe ihn beschimpft, daraufhin habe er sie gewürgt, sagte der Angeklagte

An das was dann geschah, habe er nur verschwommene Erinnerungen, sagte der Mann vor Gericht. Er wisse, dass er der Frau hinterher gefahren sei und sie zu Fall gebracht habe. Sie habe ihn beschimpft, daraufhin habe er sie gewürgt, bis sie in sich zusammensackte. Dann zog er sie ins Unterholz. Dass er die junge Frau dort mit einem Ast missbraucht hat, daran könne er sich nicht mehr erinnern. Er wisse aber noch, dass er "spitz auf sie" gewesen sei und mit ihr habe schlafen wollen. Der Vorsitzende Richter Peter Schweikart sagte, der Angeklagte habe die junge Frau "aus sexuellen Motiven zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs" überfallen und getötet. Der Tatbestand des Mordes sei erfüllt. Der Angeklagte sagte vor Gericht, ihm habe sich vor allem ein Bild ins Gedächtnis eingebrannt: Wie er der Frau ein Stück Holz in den Mund schlug. Jahrzehnte nach der Tat sei dieses Bild immer häufiger in seinem Kopf aufgetaucht, habe ihm keine Ruhe gelassen - bis er schließlich zur Polizei ging und ein Geständnis ablegte.

Ein Sachverständiger hatte dem Angeklagten verminderte Steuerungsfähigkeit und erhebliche geistige Unreife attestiert. Auch der Leiter der Jugendeinrichtung, in der der Angeklagte zu jener Zeit lebte, beschrieb ihn vor Gericht als "schwer geschädigt". Der junge Mann habe ein "starkes Empathie-Defizit" gehabt, seine Gewissensbildung sei "nicht sehr stark ausgeprägt" gewesen. Wenige Tage nach der Tat setzte sich der damals 20-Jährige nach Basel ab, wo seine Mutter lebte. Bis zu ihrem Tod 2002 blieb er in ihrer Nähe, hatte Jobs und kurze Beziehungen.

Die Staatsanwaltschaft sagte, der Angeklagte sei "nicht das Monster, das man hätte vermuten können", gleichwohl habe er "große Schuld" auf sich geladen. Auch der Karlsruher Mordermittler Wolfgang Metzger, der den Fall seit 1987 bearbeitet, kommt zu einem ähnlichen Schluss: Der Mann aus Basel sei "nie der gewesen, den wir gesucht haben". Er sei erleichtert, dass die Angehörigen Bazzanellas nun wissen, "dass wir ihn haben".

Anhaltspunkte, dass der Mann auch für weitere Übergriffe verantwortlich sein könnte, gibt es nicht.

Sein Verteidiger Alexander Kist zeigte sich nach dem Urteil zufrieden. Er werde seinem Klienten raten, keine Revision einzulegen und die sechsjährige Haftstrafe zu akzeptieren.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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