Russland:Liebe Kinder, hier spricht das Biest

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Nikolai Walujew war mal Box-Weltmeister. Nach seiner aktiven Zeit wurde er Politiker. Nun moderiert er eine Art "Sandmännchen".

Von Julian Hans

Zu den heikelsten Fragen im Leben eines Politikers gehört die Frage nach Nebenverdiensten und Anschlussverwendung. Sitzt eine Finanzexpertin nebenher im Aufsichtsrat einer Bank, heißt es schnell: Filz! Wechselt ein Ministerpräsident überraschend zu einem Baukonzern, wittern böswillige Nasen gleich Korruption. Und genehmigt ein Kanzler erst den Bau einer Pipeline, um kurz darauf im Aufsichtsrat von deren Betreibergesellschaft ein Jahressalär über Hunderttausende Euro einzustreichen, kommen bei neidischen Zeitgenossen ohnehin Fragen auf. Die Fragen haben ihre Berechtigung, und wer sie ganz vermeiden will, der muss es wohl so machen wie der Russe Nikolai Walujew, früherer Boxer und Duma-Abgeordneter. Walujew hat jetzt einen Job, den ihm wirklich niemand übel nehmen kann.

Seine Mitstreiter: Hase Stepaschka, Schnauzer Filja und Ferkel Chruscha

Am Donnerstag gab der 2,13-Meter-Hüne auf seinem Instagram-Kanal bekannt, künftig die Abendsendung "Gute Nacht, meine Kleinen" zu moderieren. Das russische Pendant zum "Sandmännchen" hat als eine der wenigen Konstanten im Fernsehen jede politische Wende überlebt und jedem Modernisierungszwang standgehalten. Seit 52 Jahren begrüßen wochentags gegen 21 Uhr der Hase Stepaschka, der Schnauzer Filja und das Ferkel Chruscha die Kinder. Stepaschka, Filja und Chruscha sind deutlich kleiner als 2,13 Meter.

Mit seiner Aufnahme in dieses Kollektiv beginnt nun also bereits Walujews dritte Karriere. Als er 2011 für die Kreml-Partei Einiges Russland kandidierte und Politiker wurde, hatte er bereits eine Laufbahn als Profiboxer hinter sich. Für den Boxstall des Promoters Wilfried Sauerland gewann er den Weltmeistertitel im Schwergewicht, er trainierte und lebte jahrelang in Deutschland. Auch zum Boxen war der 42-Jährige vergleichsweise spät gekommen; bis zu seinem 20. Lebensjahr war er Basketballspieler und Diskuswerfer. Aber erst beim Boxen konnte er den Körperbau voll zu seinem Vorteil einsetzen, mit dem ihn die Natur gesegnet hat: die gewaltige Größe, die Schuhgröße 52 und 150 Kilo Kampfgewicht - damit war er der schwerste Schwergewichtsboxer der Geschichte. Als er aber immer öfter verletzt war und eine viel beachtete Herausforderung von Wladimir Klitschko nicht annehmen konnte, begann Nikolai Walujews Stern zu sinken. Als 2011 sein Vertrag mit Sauerland auslief, erklärte der zu dem Zeitpunkt bereits politisch aktive Walujew, die Politik lasse ihm nicht mehr genügend Zeit, um sich dem Sport zu widmen.

Zu den Talenten des 42-Jährigen gehört es offenbar, sich auf mehreren recht konträren berufliche Feldern zu bewegen, mitunter gleichzeitig. Man muss auch nicht glauben, dass er nun den Rest seines Lebens als Kindermoderator zubringt - mit Beginn der Sommerpause geht die Legislaturperiode des Parlaments zu Ende, Walujew will bei den Wahlen im September wieder für Einiges Russland antreten.

In gewisser Weise war er in den vergangenen fünf Jahren zum Gesicht der Duma geworden. Systemgegner illustrierten ihre Kritik gern mit Fotos von Walujew, der mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck im Plenum saß und bei den Abstimmungen gehorsam den Ja-Knopf drückte. Dumpfes Abnicken brachte der Duma den Beinamen "der verrückte Drucker" ein, weil das Parlament wie verrückt am Fließband Gesetze produzierte, meist ohne Debatte. Vor Kurzem verabschiedeten die Abgeordneten in einer Sitzung 160 Gesetze, unter anderem ging es um die Überwachung aller Telefongespräche und des Datenverkehrs.

Walujew war allerdings als Sportler nicht allein im Parlament. Auch der Ringer Alexander Karelin, die Springreiterin Swetlana Schurowa, der Tennis-Profi Marat Safin und der Chef des Eishockey-Verbands, Wladislaw Tretjak, brachten etwas Farbe und Prominenz in das politisch eher blasse Haus. Kulturprominenz wie der Schlagersänger Iossif Kobson, die Opernsängerin Maria Maksakowa-Ingenbergs und die Schauspielerin Maria Koschewnikowa taten ein Übriges. Damit folgt die Duma der sowjetischen Tradition, in der die Partei ihre Reihen unter anderem mit ehemaligen Kosmonauten schmückte, um dem Volk neben grauen Apparatschiks auch echte Helden präsentieren zu können.

Dass Nikolai Walujew, der Mann mit dem Kampfnamen "The Beast from the East", bei den Kleinsten gut ankommt, hat er übrigens schon früher unter Beweis gestellt. Er hat mehrere Boxschulen für Kinder gegründet, und dann ist da ja noch die Sache mit dem Kinofilm: 2006 besetzte ihn Otto Waalkes in seinem Film "7 Zwerge: Der Wald ist nicht genug", in der Rolle des Riesen im Knast.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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