Russland:Flirt mit dem Kreml

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Wollen wir zusammen wählen? Neue Flirtstrategie aus Russland. (Foto: Screenshot)

Wie motiviert man Menschen, zu einer Wahl zu gehen, deren Ausgang bereits feststeht? Die Regierung in Moskau hat eine eigene Dating-App herausgebracht.

Von Julian Hans, Moskau

Dass man Balzverhalten und Wahlwerbung bei allen Gemeinsamkeiten besser nicht miteinander vermischt, hat vor einigen Jahren Vera Lengsfeld eindrucksvoll bewiesen. Ihre Plakate mit tiefem Dekolleté erregten zwar viele, überzeugten aber nur wenige, sodass die Politikerin 2009 das schlechteste Ergebnis aller CDU-Direktkandidaten erzielte. Am Ende geht man eben doch aus Bürgersinn zu Urne, nicht aus Geilheit.

Gleichwohl unternimmt der Kreml nun einen neuen Versuch. Da der entblößte Oberkörper des Präsidenten allein offenbar nicht mehr genügt, um junge Wähler zu mobilisieren, sollen sie sich nun gegenseitig anlocken. Auf Initiative des Kreml ist vor einigen Tagen eine Dating-App erschienen, mit der sich einsame Herzen vor dem Wahllokal verabreden können. Das Programm mit dem Namen "Zusammen zur Wahl" sei auf der Basis der Partnerschaftsbörse Mamba entwickelt worden, berichtete der unabhängige Fernsehsender Doschd. Mehrere Informanten in der Präsidialverwaltung hätten bestätigt, dass die Idee zu der Kuppel-App von dort kam.

Mamba gibt es seit 14 Jahren. Neu am Kreml-Programm ist nun, dass unter den Fotos möglicher Partner stets die eine Frage gestellt wird: "Gehst du mit ihm (oder ihr) zur Wahl?" Bei gegenseitiger Sympathie hilft das Programm auch gleich, das richtige Wahllokal zu finden. Das Vorbild ist wie so oft das vom Kreml geschmähte Amerika. Dort wurde Nutzern der Dating-App Tinder Fragen zu zentralen Themen des Wahlkampfes eingeblendet. Die Auswahl führte die Nutzer entweder zu Hillary Clinton oder zu Donald Trump.

In Russland werden am 10. September die Oberhäupter einiger Regionen des Landes gewählt. Sollte das Programm sich bewähren und tatsächlich junge Leute zur Teilnahme verführen, solle es auch bei der Wahl des Präsidenten im März kommenden Jahres eingesetzt werden, berichtet Doschd. Im Kreml zerbrechen sich die Spin-Doktoren schon eine Weile den Kopf darüber, wie die Menschen motiviert werden können, zu einer Wahl zu gehen, deren Ausgang bereits feststeht.

Bei der Parlamentswahl 2016 hatte nicht mal jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme abgegeben - so niedrig war die Beteiligung seit dem Ende der Sowjetunion nicht. Für ein autoritär regiertes Land, in dem demokratische Institutionen nur zum Schein existieren, ist eine Wahl mehr eine Akklamation: Nur aus einer hohen Beteiligung und aus einem guten Ergebnis kann der Führer seine Legitimität herleiten. Dem Vernehmen nach hat der Kreml das Ziel "70/70" ausgegeben - 70 Prozent für Putin bei 70 Prozent Wahlbeteiligung.

Der Slogan der App "Wähle mit dem Herzen" ist allerdings vorbelastet: Bei der Präsidentschaftswahl 1996 war das ein Werbespruch des gesundheitlich schwer angeschlagenen Boris Jelzin. Der erlitt während des Wahlkampfs auch noch einen Herzinfarkt. Daran dürften sich in der Zielgruppe jedoch kaum jemand erinnern. Die Jungwähler von heute waren da ja gerade erst geboren.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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