Russland:Falscher Alarm

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In Moskau folgt eine Bombendrohung auf die nächste. Der Kreml sieht im "Telefon-Terrorismus" ein ernstes Problem. Aber was steckt dahinter?

Von Frank Nienhuysen

Eine Bombendrohung also, Evakuierung, wieder mal. Das kann in Moskau, in Europas größter Stadt, schon vorkommen, zumal man hier nach vielen Traumata in den vergangenen Jahren genug Grund zur Vorsicht hat. Doch diesmal ist alles anders.

Da steht nun also am Roten Platz der uniformierte Mann mit Schirmmütze vor dem Eingang, presst die Lippen zusammen und schüttelt sein Haupt. Mitten am Tag lässt er eine junge Dame abblitzen, die in das berühmte Einkaufszentrum "Gum" will, während ein paar Meter entfernt eine Gruppe ratloser Damen und Herren mit roten Schürzen herumsteht. Sie wurden abrupt aus ihrem Café geholt. Doch wenig später ist klar: ein Fehlalarm. Aber da ist der Vorfall schon fast wieder in Vergessenheit geraten, untergegangen im Strom der Drohungen. Bombendrohungen, überall.

Seit zwei Wochen folgt in Moskau eine Bombenwarnung auf die nächste. Insgesamt mehr als 300 000 Menschen wurden bereits in Sicherheit gebracht, 850 Orte durchsucht. Russland erlebt Telefonterror im Großformat. Wer macht so etwas?

Mitarbeiter der Zeitung Iswestija mussten ihren Arbeitsplatz verlassen, am Montag waren angeblich Sprengsätze in den riesigen Einkaufszentren "Europa", "Metropolis" und "Atrium" versteckt. Waren sie aber nicht. Schulen wurden evakuiert, Kinos, Restaurants, Diskotheken, Hotels, Metrostationen. Feuerwehrautos kämpften sich durch den Verkehr, Polizisten zogen rote Sperrbänder vor Bahnhöfe und Universitätsgebäude, ein großes Möbelhaus war schon betroffen, ein Flughafen und auch das Kaufhaus "Kinderwelt".

Auch jenseits der Hauptstadt häufen sich die leeren Drohungen. Der Nachrichtenticker von Interfax meldete am Mittwoch: Auf dem Palastplatz in Sankt Petersburg, am historischen Winterpalast mit der Ermitage, wurden 500 Menschen in Sicherheit gebracht. Sprengsätze wurden nicht gefunden. Und auch nicht in den Dutzenden anderen Städten zwischen Karelien, Omsk und Wladiwostok, wo das seltsame Treiben Bevölkerung und Behörden erfasst, immer wieder Rettungskräfte raus schickten und wieder abziehen ließen.

Über die Gründe und Urheber wird gerätselt und spekuliert. Schnell war von Dschihadisten des Islamischen Staates die Rede, die angeblich die Reaktion der Sicherheitsbehörden beobachten wollten. Dass russische Behörden ihre eigenen Fähigkeiten testen wollten, wurde von diesen selbst eisern dementiert. Auch das nahe Ausland wurde genannt, konkret die Ukraine, die hinter all dem stecken könnte.

Zuletzt berichtete die Zeitung RBK unter Berufung auf eine anonyme Quelle im Innenministerium, dass die Drohungen über angeblich platzierte Bomben womöglich aus Brüssel kämen und von einer internationalen Hackergruppe stammten - alles gesteuert mit Hilfe von IP-Telefonaten, die über Rechnernetze laufen. Das Ziel könne sein, "für das Ende der Angriffe große Summen Geld zu verlangen", berichtete RBK.

Doch hohe Kosten haben bereits die Behörden zu tragen: Mehr als fünf Millionen Dollar haben die Einsätze bisher schon verschlungen. Und auch den Einkaufsmalls entgingen Zigtausende Dollar, wenn für einen halben Tag plötzlich die Kundschaft ausgesperrt werden musste.

Der Kreml spricht wie alle von "Telefon-Terrorismus", das Katastrophenschutzministerium erklärte die Welle zu einem "ernsten Problem", es überprüfe "das gesamte mögliche Spektrum". 20 Minuten später meldete die Agentur Tass: In Twer werden nach Drohungen vier Einkaufszentren evakuiert.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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