Rumänien:"Einfachste Vorschriften wurden missachtet"

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"Es war ein Albtraum": Überlebende vor dem Klub Colectiv nach dem Großbrand in der Nacht zum Samstag. (Foto: Vadim Ghirda/AP)

In Bukarest gerät bei dem Konzert einer Heavy-Metal-Band die Pyrotechnik außer Kontrolle - mindestens 29 Menschen sterben.

Von Florian Hassel

Es war selbst für einen Freitagabend ein attraktives Angebot. Im hippen Nachtklub Colectiv in Bukarest spielte die Gruppe Goodbye To Gravity (Abschied von der Schwerkraft) auf, die populärste rumänische Heavy-Metal-Band, der Eintritt war frei. Die Band präsentierte ihr neues Album, mit Licht- und Feuerwerkseffekten und der neuen Single "The Day We Die". Dem Konzert sollten eine Halloween-Party und "viele andere Überraschungen" folgen. Und so drängelten sich im gut 400 Quadratmeter großen Colectiv bis zu 500 Besucher.

Als auf der Bühne Funken flogen, dachten sich die Besucher erst nichts dabei. Selbst als die Funken eine mit Schaumstoff umwickelte Säule in Brand setzten, witzelte Sänger Andrei Galut noch: "Das war kein Teil der Show." Als er sah, dass die Flammen binnen Sekunden auf die mit Dämmmaterial verkleidete Decke übergingen, griff er nach einem Feuerlöscher.

"In 30 Sekunden hatte das Feuer die ganze Decke erfasst", schilderte es die Bukarester Spanischlehrerin Delia Tugui auf ihrer Facebook-Seite. "Die Leute drängten zum Eingang, aber er war zu eng. Panik brach aus." Ein zweiter Ausgang war geschlossen und musste von den um ihr Leben kämpfenden Konzertbesuchern erst aufgebrochen werden. "Die Menschen stießen sich, trampelten übereinander," berichtet die Lehrerin. Als sie sich nach draußen drängte, hörte sie einen lauten Knall, Tuguis Haar fing Feuer. "Hinter mir brannten Menschen von Kopf bis Fuß. Es war ein Albtraum. Ich habe sofort gewusst, dass diejenigen, die hinter der Bar waren, nicht überleben würden."

Die Band wollte eine Party feiern und ihre neue Single vorstellen. Titel: "The Day We Die"

Vor dem Klub spielten sich furchtbare Szenen ab, Brandopfer schrien vor Schmerzen. Mehrere Hundert Feuerwehrleute, Polizisten, Krankenschwestern und Ärzte waren im Einsatz. Rund 180 Verletzte wurden in zwölf Bukarester Krankenhäuser gebracht, Dutzende allein ins Notfallkrankenhaus Floreasca. "Es war wie im Krieg. Dutzende Chirurgen wurden von zu Hause gerufen, um zu operieren" sagte eine Krankenhaussprecherin. Es sei die tödlichste Tragödie seit der rumänischen Revolution 1989 gewesen. Auf einer Krisensitzung der Regierung lautete eine erste Bilanz: 29 Tote, Dutzende Schwerverletzte. Viele haben Brandwunden, die den ganzen Körper überziehen, etliche schweben noch in Lebensgefahr. Unter den 22 identifizierten Toten sind auch Vlad Telea und Mihai Alexandru, die beiden Gitarristen der Band. Die anderen Musiker erlitten schwere Verbrennungen und kämpfen um ihr Leben. Insgesamt seien noch 35 Menschen in lebensbedrohlicher Verfassung, so Bukarester Ärzte am Sonntag.

Rumäniens Ministerpräsident Victor Ponta rief drei Tage Staatstrauer aus. Theater und Opernhäuser sagten ihre Vorstellungen ab, Rumäniens Fußballprofis legten vor ihren Spielen eine Schweigeminute ein und spielten mit schwarzer Armbinde. Hunderte Bukarester spendeten Blut für die Überlebenden. Präsident Klaus Johannis besuchte sowohl Überlebende im Krankenhaus wie die Unglücksstelle, vor der ein Meer aus Kerzen zum Gedenken an die Toten leuchtet. "Ich bin tieftraurig - und aufgebracht, dass eine Tragödie dieses Ausmaßes in Bukarest geschehen konnte. Es ist unglaublich: ein völlig unzureichender Platz für so viele Menschen bei einem Konzert", sagte Johannis nach einer Besichtigung. "Einfachste Vorschriften wurden missachtet." Tatsächlich stehen Sicherheitsregeln in Rumänien oft nur auf dem Papier. Allein im drei Millionen Einwohner zählenden Bukarest, das sich in den vergangenen Jahren von der drögen Stadt unter Diktator Ceauscescu zu einer der attraktivsten Städte Ost- und Südosteuropas gemausert hat, haben Dutzende Restaurants und Klubs neu eröffnet.

Der Klub Colectiv war einer der populärsten für aufstrebende Bands. Colectiv soll keine Genehmigung für Feuerwerksspektakel gehabt haben - sollte dies so gewesen sein, wären die Eigentümer damit wohl nicht alleine gewesen. Mini-Feuerwerke gehören in vielen rumänischen Klubs und Restaurants zum Unterhaltungsprogramm. Auch "Goodbye To Gravity" ließ bei seiner Bühnenshow schon früher Funken fliegen.

Bukarester Medien zufolge sollen die Besitzer des Klubs am 21. Oktober wegen der Missachtung von Arbeitsregeln gemaßregelt worden sein, nicht aber wegen einer Verletzung der Sicherheitsvorschriften. Ein namentlich nicht genannter Polizist sagte am Wochenende, für einen Klub dieser Größe hätte es mindestens sechs Ausgänge geben müssen. Tatsächlich aber gab es nur zwei. Die Besitzer hatten gleichwohl eine Betriebsgenehmigung für den Klub, den sie im September 2013 im Gebäude der ehemaligen Sportschuhfabrik "Pionerul" südöstlich des rumänischen Parlaments eröffneten.

Die Tragödie von Bukarest ist nicht die erste ihrer Art. 2003 etwa starben 100 Menschen bei einem Auftritt der Gruppe Great White in einem Nachtklub in West Warwick auf Rhode Island bei New York. Ursache des Unglücks: Pyrotechnik hatte Schaumstoff in Brand gesetzt. In Rumänien leitet nun der Generalstaatsanwalt eine Ermittlergruppe, an der etwa auch Fachleute beteiligt sind, die sonst Explosionen und andere Unglücke in Bergwerken zu verhindern suchen.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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