Rolltreppen-Jubiläum:Links gehen, rechts stehen

Rolltreppen-Jubiläum: Jubiläum: Die Rolltreppe wird 125 Jahre alt.

Jubiläum: Die Rolltreppe wird 125 Jahre alt.

(Foto: Museum of the City of new York; Creative Commons; Wiki Commons; Collage Jessy Asmus)

Mal schnell und steil, mal im gemütlichen Bogen, mal fast gar nicht: Rolltreppen befördern seit 125 Jahren täglich hunderte Millionen Menschen. SZ-Autoren über "Personenbeförderungsmittel zur Überwindung einer Höhendistanz".

"Es gibt keinen verlässlicheren Gradmesser für das Altern als die Stufen einer Treppe. Außer man benutzt eine Rolltreppe." - Gesagt hat das der israelische Schriftsteller Ephraim Kishon, ein schöner, lustiger Vergleich - doch eines lässt Kishons Spruch außer Acht: Dass auch die Rolltreppe altern kann. Sagenhafte 125 Jahre alt wird das "Personenbeförderungsmittel zur Überwindung einer Höhendistanz" (Wikipedia) nun. Am 16. Januar 1893 wurde die erste Rolltreppe verbaut. In einem New Yorker Bahnhof beförderte sie fortan Menschen mit einer Geschwindigkeit von 35 Zentimetern pro Sekunde auf einer Länge von 16 Metern sechs Meter in die Höhe. Heute misst die längste Rolltreppe der Welt 800 Meter Länge, die zulässige Höchstgeschwindigkeit einer Rolltreppe beträgt 90 Zentimeter pro Sekunde. Auch sonst kann man jede Menge Superlative auflisten, oder auch ganz persönliche Rolltreppen-Anekdoten erzählen. Im Folgenden übernehmen das einige SZ-Autoren.

Hamburg

Nichts kann die Hamburger derzeit so begeistern wie ihre Elbphilharmonie, die stolz und schön am Rande des Hafens steht. Zur Plaza, der in 37 Metern Höhe gelegenen Aussichtsplattform des Konzerthauses, führt ein Unikat des internationalen Rolltreppenwesens: Mit 82 Metern ist die zweispurige Aufstiegshilfe die längste ihrer Art in Westeuropa - und Angaben des finnischen Herstellers zufolge außerdem "die weltweit einzige, die einen Bogen beschreibt".

In der Tat gleitet man auf der Treppe nicht steil nach oben, sondern auf einer sanft auslaufenden Kurve, was Menschen mit Höhenangst ein angenehmeres Fahrgefühl vermitteln dürfte. 2:36 Minuten dauert die Fahrt, handgestoppt. Eingefasst wird die Treppe von einem hellen Gewölbe, das insgesamt 7900 Glaspailletten schmücken. Die Rolltreppe zu nehmen, wird hier zum Kunstgenuss. Die fahrenden Stufen der Elbphilharmonie dürften deshalb noch für einen anderen Rekord stehen: Auf keiner Rolltreppe werden so viele Selfies geschossen wie auf dieser.

(Thomas Hahn)

Moskau

In Moskau leben, heißt für einen großen Teil der Bewohner, sehr viel Zeit auf Rolltreppen zu verbringen. Denn wer sich nicht mit dem Auto in den Dauerstau auf die verstopften Straßen stellen will, der fährt - wie neun Millionen andere Menschen täglich - Metro. Und wer Metro fährt, der überwindet jede Menge Höhenmeter auf Rolltreppen. Schließlich wurde die hier 1935 eröffnete U-Bahn besonders tief in die Erde getrieben - ihre Stationen sollten im Ernstfall als Luftschutzbunker dienen. Die Station "Park Pobedy" ("Siegespark") war mit 84 Metern sogar mal die tiefstgelegene U-Bahn-Haltestelle der Welt. Ihre Rolltreppen stellten mit 126 Metern und 740 Stufen einen Weltrekord auf, inzwischen kommt die St. Petersburger Metro-Station "Admiralteiskaja" auf zwei Tiefenmeter mehr und eine 137 Meter lange Rolltreppe.

Die Regel "Rechts stehen, links gehen" halten die Moskowiter diszipliniert ein. Denn als Megacity kann die russische Hauptstadt in den Stoßzeiten nur funktionieren, wenn sie so streng durchorganisiert ist wie ein Bienenstaat. Wer sich für die schnellere linke Seite entscheidet, sollte allerdings wissen, was er tut. Denn einfach stehen bleiben geht dann nicht mehr: Rechts ist dicht und links ist Gehzwang. Da kann der Kreislauf bei einer zwei- bis dreiminütigen Rolltreppenfahrt über dutzende Höhenmeter ganz schön auf Touren kommen.

(Paul Katzenberger)

Madrid

In Madrid hält man sich an Verkehrsregeln: Die Autos stoppen vor Zebrastreifen, man steht an der Bushaltestelle brav Schlange, und natürlich gilt für alle Rolltreppen: rechts stehen, links gehen. Dennoch heißt es bei Rolltreppen in Spanien: Atención! Denn es kommt immer wieder zu Auffahrunfällen, ganz wörtlich. Wenn der Rolltreppenfahrer nicht weiß, wo er hin will, bleibt er am Ende wie angewurzelt stehen, um sich zu orientieren. Einfach so, ohne an die Seite zu treten. Und die Nachkommenden prallen dann auf den Orientierungssuchenden, der gerade nach Wegweisern Ausschau hält oder in seinem Handy Rat sucht. Es beschäftigt bereits Soziologen und Psychologen, warum so viele Spanier es nicht hinbekommen, beim Aussteigen aus der Metro oder am Ende von Rolltreppen den anderen rasch Platz zu machen.

(Thomas Urban)

Paris

Immer diese Provinzler! Stehen rechts und stehen links und am besten gleich in Gruppen auf den Rolltreppen und endlos langen Rollteppichen im Bahnhof Montparnasse, wenn sie gerade aus ihren Zügen aus Bordeaux, Nantes oder weiß der Teufel woher in Paris angekommen sind. An schlechten Tagen zischt man sie an: "Ici, c'est Paris!" Das ist sehr arrogant, also sehr pariserisch, und wenn die bummeligen Provinzler dann immer noch nicht kapiert haben, dass der Haupstädter prinzipiell gehetzt ist, ja so bringt man es ihnen halt bei: "Sie müssen rechts stehen!"

Bahn und die Pariser Verkehrsbetriebe lassen ihre "escalators", wie es auf Französisch heißt, mit Vorliebe zur Hauptverkehrszeit zwischen acht und neun Uhr morgens warten, scheint es. Gesäubert werden die verdreckten Rolltreppen dabei übrigens nicht.

Da könnte man leicht in Groll verfallen. Doch es gibt eine Gegentherapie: Die berühmte Rolltreppe nehmen, die sich an der Außenseite des Museums Centre Pompidou hinaufwindet. Je höher man fährt, desto erhabener das Gefühl. Verlässt man die Rolltreppe schließlich oben auf der Terrasse und genießt den Blick auf Paris, ist man schlagartig versöhnt mit dieser großartigen Stadt. Selbst die vielen Provinzler aus Bordeaux, Nantes oder weiß der Teufel woher stören dort oben nicht.

(Leo Klimm)

Berlin

In Berlin funktioniert ja bekanntlich vieles nicht so gut. Das gilt auch für die Rolltreppen in den U-Bahn-Stationen. Blöd nur, wenn man an einem Wintermorgen mit der drei Monate alten Tochter unterwegs ist: Trage vor dem Bauch, Rucksack auf dem Rücken, Tasche mit Einkäufen in der Hand. Der Aufzug in der Station ist seit Monaten kaputt, nun also auch noch die Rolltreppe. Also mit eingeschränkter Sicht langsam die von feuchtem Straßendreck glitschige Treppe hinunter, vorsichtig, Schritt für Schritt. Fluchend, natürlich. Unten dann ein Blick ins Loch, wo die Rolltreppe einmal endete. Dort schraubt eine sehr junge Frau im Holzfällerhemd gelassen im Dunkel herum, der dicke dunkelbraune Zopf baumelt ihr bis auf die Taille. Und man denkt mit Blick auf die schlafende Tochter einen echten Alte-Leute-Satz: Das hätte es ja in meiner Kindheit nicht gegeben. Wie schön aber, dass die Kleine in einer Welt aufwächst, in der Mädchen genauso selbstverständlich Rolltreppen reparieren können wie Jungen.

(Hannah Beitzer)

München

Wem als kleiner Junge ein gelber Gummistiefel eingeklemmt wurde, der hat einen Heidenrespekt vor Rolltreppen. Wer seinen Fuß damals erst in letzter Millisekunde aus dem Schuh ziehen konnte, der zieht auch Jahre später Treppensteigen den potenziellen Zermalm-Maschinen vor. Jetzt, im Laufe des Alters, lahmen die Muskeln und schwächelt die Lunge, man trägt kaum noch Gummistiefel - und fühlt sich aus Faulheit für die Benutzung von Rolltreppen gewappnet.

Für Kinderwagen-Schieber bietet das erst 1971 errichtete und inzwischen mehr als 103 Kilometer umfassende Streckennetz der Münchner U-Bahn - im Gegensatz etwa zu Hamburg - einen unschätzbaren Vorteil: Gibt es nur eine Rolltreppe zum Zu- oder Ausgang, dann fährt sie (potenziell) in beide Richtungen. Wenn man von unten sieht, dass oben keine Menschen mehr runter drängen, wartet man (im Idealfall) ein paar Sekunden bis die Rolltreppe steht, tritt auf die Rampe und kann hoch fahren.

Eigentlich ein geniales Prinzip, doch damit sind wir bei einem Problem, das zu regelrechter Menschenallergie führt: Es gibt Personen im öffentlichen Nahverkehr, die achten grundsätzlich nicht auf andere. Und, ein zweiter, fast sozialkritischer Gedanke: Wir da unten sind denen da oben hilflos ausgeliefert.

Es will einem weder in Kopf noch Füße, doch stets beobachtet man, wie sich Menschen mit Kinderwagen, Alte, solche mit schweren Koffern, kaputten Füßen oder gar ohne Füße unten Löcher in den Bauch warten, weil oben immer wieder Dösköppe ohne Not nach unten fahren.

Wer München und sein Rolltreppensystem kennt, zweifelt an jeglicher Alltagsethik: "Behandle andere so, wie du behandelt werden willst." Man mag diesen Satz auf ein Schild schreiben und sich oben vor die Rolltreppen stellen, damit die Menschen zumindest hier lernen, was Rücksicht bedeutet. Und das Zeichen wird ein gelber Gummistiefel sein.

(Lars Langenau)

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