Rätselhafter Kriminalfall:Italienische Polizei fasst "Unbekannten 1"

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Der Fall der getöteten Yara Gambirasio dürfte in die italienische Kriminalgeschichte eingehen. (Foto: dpa)

Wer tötete Yara aus der Lombardei? Ein Massengentest gab der Polizei den ersten Hinweis - durch einen Verwandten. Die folgende Suche nach dem nichtehelichen Sohn eines Busfahrers war nun erfolgreich, der vielgesuchte "Unbekannte 1" wird vernommen.

Von Andrea Bachstein, Rom

Rhythmische Sportgymnastik war Yaras Hobby. Auch am Nachmittag des 26. November 2010 ging die fröhliche 13-Jährige mit Zahnspange und welligen, rötlich-blonden Haaren in die Turnhalle, um mit anderen Mädchen zu trainieren. Doch anders als sonst kam sie danach nicht mehr nach Hause.

Irgendwo zwischen der Sporthalle in Brembate di Sopra bei Bergamo und den gerade mal 700 Metern bis zum Haus der Familie verschwand Yara Gambirasio. Erst drei Monate später fand ein Mann ihre Leiche auf einem Feld zehn Kilometer von Brembate entfernt, wo sein Modellflugzeug zu Boden ging - und wo sie getötet worden war durch Messerstiche und möglicherweise auch die Kälte. Jetzt ist nach dreieinhalb Jahren der "Unbekannte 1" gefasst, der mutmaßliche Mörder, und der Fall hat alle Elemente, um in die italienische Kriminalgeschichte einzugehen.

Die Speichelprobe eines jungen Mannes ist auffällig: Der Mörder muss mit ihm verwandt sein

Die Ermittlungen gingen schier unglaubliche Wege, ein unbekannter Sohn wurde gesucht. Am Ende hat eine Alkoholkontrolle zur Verhaftung von Massimo B. geführt. Sie war eine Finte der Polizei, die den Ring schon eng um den 43-Jährigen gezogen hatte. Am Dienstag wurde der Verdächtige noch verhört, es hieß, er verweigere die Aussage, habe sich aber unschuldig erklärt. "Scheißkerl, Mörder", schrien Leute, die sich am Montagabend vor der Carabinieri-Kaserne in Bergamo versammelt hatten, in die B. gebracht worden war.

Auf dem 8000-Einwohner-Ort Brembate hatte das Verbrechen schwer gelastet. An Slip und Leggings des vergewaltigten und ermordeten Mädchens waren Blutspuren und ausreichend DNS gefunden worden. Seither verglich die Polizei das Erbmaterial mit Speichelproben von 18 000 Männern in der ländlichen Gegend der Lombardei - es war kein Treffer dabei. Jedenfalls kein direkter. Dann aber zeigte das Genmuster eines jungen Mannes verdächtige Übereinstimmungen mit den Spuren vom Opfer. Der junge Mann war nicht der Täter, aber sehr wahrscheinlich einer seiner Angehörigen.

So machten sich die Ermittler daran, seine Verwandtschaftsverhältnisse zu durchforsten. Sie taten das so gründlich, dass sie auch den Führerschein seines 1999 verstorbenen Onkels Giuseppe G. untersuchten. Eine vor Jahrzehnten mit Spucke aufgeklebte Gebührenmarke brachte den Durchbruch: Die Spucke stammte aller Wahrscheinlichkeit nach vom Vater des Täters. Um sicher zu sein, dass Giuseppe G. die Marke selbst angeleckt hatte, ließ der Staatsanwalt sogar dessen Leiche exhumieren. Danach stand fest: Mit fast hundertprozentiger Gewissheit war der Mörder G.s Sohn. Von den drei Kindern aus seiner Ehe kam jedoch keines infrage. Es musste also einen außerehelichen Sohn geben, von dem G.s Familie nichts wusste, für die Polizei wurde er der "Unbekannte 1".

In mühsamer Kleinarbeit wurde das Leben von Giuseppe G. nachvollzogen, der als Busfahrer gearbeitet hatte. Wie verliefen seine Fahrtrouten, wo könnte er eine Frau kennengelernt haben? Irgendwann gab ein Zeuge den Tipp, dass G. wohl in den 70er-Jahren eine Affäre mit Folgen hatte. Der Sohn musste demnach um die 40 sein. Und laut der Melderegister der Gegend kamen 3000 Frauen als Mutter des wahrscheinlichen Mörders infrage.

Ende April hatte die Polizei schließlich die Frau ausgemacht, die von Giuseppe G. schwanger geworden war. Sie hatte damals Zwillinge von dem Busfahrer bekommen, ein Mädchen und einen Jungen namens Massimo. Seit Ende April beobachtete die Polizei den heute 43-jährigen Massimo B., sie überprüfte seine Vergangenheit und seine Gewohnheiten. Es heißt, er trainiere in derselben Sporthalle wie Yara. Von Beruf ist er Maurer, das belastet ihn zusätzlich, weil in den Atemwegen des Mädchens Baustaub entdeckt worden war. Bisher ist Massimo B. unbescholten, verheiratet, Vater. Es gibt Fotos, auf denen er mit einem seiner drei Kinder albert, alles scheint normal. Seine Mutter soll einer Nachbarin gesagt haben: "Wenn er es war, muss er bezahlen."

© SZ vom 18.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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