Niederlande:Fatale Fehldiagnosen

Er stellte wissentliche Fehldiagnosen und fügte Patienten schweren Schaden zu: Dennoch ist der beschuldigte Arzt nun freigesprochen worden.

Von Christina Berndt, München

Der wohl größte Medizin-Skandal der Niederlande hat eine überraschende Wendung genommen: Am Donnerstag sprach ein Berufungsgericht in Arnheim den Arzt Ernst J. S. frei. Im Februar 2014 war der Neurologe wegen schwerer Körperverletzung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden: J. S. habe Patienten durch wissentliche Fehldiagnosen schweren Schaden zugefügt, hieß es damals. Doch das Berufungsgericht befand nun, es sei nicht bewiesen, dass der Neurologe die Diagnosen absichtlich gestellt habe. Dabei blieb jedoch unbestritten, dass der heute 69-Jährige über Jahrzehnte Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose bei seinen Patienten feststellte, obwohl diese nicht betroffen waren. In der Folge litten die Patienten nicht nur psychisch: Sie nahmen auch ohne Grund nebenwirkungsreiche Medikamente ein oder ließen folgenschwere Operationen an Gehirn oder Rückenmark über sich ergehen; eine Frau beging Suizid. Bis zuletzt hatte J. S. beteuert, seine Diagnosen nach bestem Gewissen gestellt zu haben. Zu einem halben Jahr auf Bewährung wurde er am Donnerstag nur verurteilt, weil er auch einmal einen Rezeptblock stahl, Rezepte missbrauchte und Geld unterschlug. J. S. soll medikamentenabhängig gewesen sein. Deshalb wurde ihm 2009 in den Niederlanden auch die Berufserlaubnis entzogen; doch er zog nach Deutschland, wo er bis 2013 in der Nähe von Hannover, in Worms und Heilbronn weiter praktizierte.

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: