Niederlande:Fahrrad-Infarkt in Amsterdam

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In der Stadt gibt es Streit um die neuen Mieträder - es sind zu viele.

Von Thomas Kirchner

Es ist nicht so, dass Amsterdam dringend mehr Fahrräder gebraucht hätte. Das legt nicht nur der Augenschein nahe, sondern auch die Statistik. 800 000 Stück stehen oder fahren nach Schätzungen in der gar nicht so großen Stadt herum, jedem Niederländer gehören 1,3 Exemplare. Insofern zog mancher Einwohner im Frühjahr eine Braue hoch, als die neueste Welle der Sharing Economy heran schwappte: das Fahrrad-Sharing.

Fahrrad-Sharing in Amsterdam? Ja, das war ernst gemeint. Mindestens sechs Unternehmen, zum Teil aus Dänemark und China, sind inzwischen tätig im neuen Business. Sie heißen Flickbike, Yellowbike oder Obike, fahren mit Lastwagen quer durch die Stadt und "kippen", wie es in Presseberichten mit leichter Abscheu dargestellt wird, ihre orangeschwarzen, gelben, roten oder grauen "deelfietsen", die Mieträder, scheinbar auf die Straße. Manche reihen sich dann in Ständer ein, andere lehnen an Bäumen oder stehen einfach nur herum. Zielgruppe sind Touristen, Expats, Studenten und alle Radlosen, die dringend irgendwo hin müssen. Sie laden eine App herunter, die ihnen per GPS das nächst gelegene Rad anzeigt, zahlen im günstigsten Fall etwa 50 Cent pro halbe Stunde und können das mit einem "schlauen" Schloss versehene Vehikel anschließend abstellen, wo sie wollen. Genutzt wird das Angebot bisher: kaum.

Das Angebot hört sogar gleich wieder auf, denn die Stadtverwaltung hat auf die Bremse getreten. "Wir wollen nicht, dass Mieträder den knappen öffentlichen Raum in Beschlag nehmen", sagt Verkehrsstadtrat Peter Litjens. Man arbeite daran, Platz für Fahrräder zu schaffen, den man sich nicht von den kommerziellen Anbietern wegnehmen lassen wolle. Amsterdam hat nämlich andere Sorgen als andere: Ziel aller Fahrradteilsysteme, sagt Litjens, müsse es sein, die Zahl der Räder in der Stadt zu reduzieren. "Bisher scheinen es einfach nur mehr zu werden." Vermutlich im September sollen die Miet-Räder eingezogen werden. Anschließend will man mit den Anbietern über Regeln reden, die das Geschäft in verträgliche Bahnen lenken.

Wohin mit den Rädern? Das ist eine dringende Frage in niederländischen Städten

Wohin mit den Rädern? Das ist eine immer dringlichere Frage in niederländischen Städten. Die Fahrradständer quellen über. Ständig werden neue gebaut, riesige Parkhäuser sind in Bau - allein am Bahnhof in Utrecht sollen bald 20 000 Räder stehen. Und trotzdem reicht es nicht. Laut dem Bahnverband Prorail werden bis 2020 im ganzen Land 180 000 Stellplätze fehlen. Hinzu kommt, dass viele herumstehende Fahrräder gar nicht in Gebrauch sind. In Amsterdam schätzt man, dass dies auf jedes vierte zutrifft, das wären etwa 200 000. Im Jahr 2014 wurden dort 73 745 "Waisenräder" oder Wracks entsorgt, zu Kosten von jeweils 76 Euro.

Rotterdam hat das Fahrrad-Sharing im Gegensatz zur Hauptstadt begrüßt. Es könne, zusammen mit den teureren Mieträdern, die von der Bahn betrieben werden, den Parkdruck mindern. Allerdings nur, wenn die Räder auch von Pendlern benutzt werden. Diese neigen dazu, am Bahnhof ihr altes Gazelle- oder Sparta-Rad abzustellen. Die seien allemal besser, werden Nutzer zitiert, als die schwergängigen, klobigen Mieträder, die vor allem chinesische Firmen im Angebot hätten.

Der spezielle Widerwille in Amsterdam erklärt sich wohl aus dem Gefühl der Einwohner, von immer mehr Touristen überrannt zu werden. In dieser Hinsicht geht es der Stadt wie Venedig oder Barcelona. Zu manchen Zeiten, etwa an Ostern, ist der Andrang in der relativ kleinen Innenstadt so stark, dass man an den Grachten kaum voran kommt. Wo es so eng ist, wird jedes Touristen-Rad als störend empfunden.

Experten schlagen vor, die Zahl der erlaubten Mieträder an öffentlichen Fahrradständern zu beschränken, besondere Parkzonen auszuweisen und Anbieter über eine Gebühr am Bau neuer Standplätze zu beteiligen. Das Ungeregelte wird nun also geregelt werden.

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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