Nepal:Verbleib ungeklärt

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Viele Menschen in Kathmandu haben kein Dach mehr über dem Kopf, ihre Häuser sind zerstört. Sie leben teilweise unter Planen und in Zelten. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Unter den mehr als 5000 Todesopfern des Erdbebens in Nepal ist auch ein Deutscher. Das Auswärtige Amt sucht zudem nach rund 150 Vermissten.

Von Hannes Vollmuth, Kathmandu/München

Die Ruhe, wenn es so etwas gerade überhaupt gibt in Kathmandu, ist angespannt - so jedenfalls beschreiben es die deutschen Helfer. Tag drei nach dem Erdbeben der Stärke 7,8: In der nepalesischen Hauptstadt fließt wieder der Verkehr, viele Läden aber haben geschlossen, und die, die geöffnet haben, werden überrannt. Weil es regnet, sitzen die Menschen unter Planen, zurück in ihre Häuser wollen sie nicht. "Die Leute haben Angst vor weiteren Nachbeben", sagt Albert Grosse-Hokamp, Mitarbeiter bei Caritas International, am Dienstag am Telefon über die Situation vor Ort.

Währenddessen steigt die Zahl der Toten weiter. Nach Angaben der nepalesischen Behörden starben mehr als 5000 Menschen, es wird von 8000 Verletzten ausgegangen. Ministerpräsident Sushil Koirala sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es könnten bis zu 10 000 Menschen durch die Erdstöße getötet worden sein. Damit wäre es die schlimmste Katastrophe des Landes seit rund 100 Jahren.

Unter den Toten ist auch ein Professor der Universität Göttingen. Der Geograf wurde mit 15 Studenten und einem weiteren Wissenschaftler während einer Exkursion nordwestlich von Kathmandu von dem Beben überrascht. Der Wissenschaftler verunglückte tödlich, teilte die Universität mit. Der 67-Jährige soll ein erfahrener Expeditionsleiter gewesen sein und galt als Himalaja-Experte. Den Studenten gehe es den Umständen entsprechend gut. Sie sollten am Dienstag nach Kathmandu gebracht werden und wenn möglich am Mittwoch den Heimflug antreten.

Das Auswärtige Amt in Berlin schließt derzeit nicht aus, dass sich noch weitere Deutsche unter den Opfern befinden. "Der Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt und die deutsche Botschaft in Kathmandu bemühen sich weiter mit Hochdruck um Aufklärung", sagt ein Sprecher. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt hat auch eine Hotline geschaltet.

Etwa 500 Deutsche sollen sich zum Zeitpunkt des Erdbebens in der Region aufgehalten haben. Nach Berichten verschiedener Medien sind davon 150 vermisst, das Auswärtige Amt spricht inzwischen von einer "niedrigen dreistelligen Zahl" von Deutschen, deren Verbleib nicht geklärt sei. Es gebe keine Meldepflicht für Deutsche im Ausland, sagt ein Sprecher, hinzu komme, dass "gerade deutsche Trekking-Begeisterte nur selten mit der deutschen Botschaft in Kathmandu vor ihrer Reise Kontakt aufnehmen".

Hunderttausende fliehen aus Kathmandu. Sie kämpfen dafür mit Hand und Fuß

Einige Deutsche sind mithilfe der Botschaft nun ausgereist, etwa 50 hatten nach dem Erdbeben auf dem Gelände der Botschaft in Kathmandu übernachtet. Man versuche jeden Deutschen in der Erdbeben-Region zu erreichen, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Auch am Flughafen in Kathmandu hat die deutsche Botschaft einen Betreuungsstand eingerichtet. Dort registrieren derzeit Mitarbeiter jeden Deutschen, der die Heimreise antritt. Damit will sich die Botschaft einen Überblick über die derzeit noch in Nepal weilenden deutschen Urlauber verschaffen. Jedem Staatsangehörigen der Bundesrepublik solle eine möglichst schnelle Ausreise aus Nepal ermöglicht werden.

Immerhin treffen inzwischen immer mehr Helfer-Teams in Nepal ein, wobei viele zunächst damit beschäftigt sind, die Gegend zu erkunden und sich einen Überblick zu verschaffen. Nach Aussage eines Mitarbeiters von International Search and Rescue Germany (ISAR) hat sich am Flughafen von Kathmandu ein Einsatzlager gebildet. Dort gebe es auch zuverlässig Strom, anders als in Kathmandu selbst.

Bisher sind die Helfer vor allem mit der eigenen Organisation beschäftigt. Am Dienstag trafen sich mehrere Hilfsorganisationen für Einweisungen und Gespräche in Kathmandu. Caritas-Mitarbeiter Grosse-Hokamp bezeichnet die Zusammenarbeit der Helfer als "kontrolliertes Chaos". Noch habe nicht jeder seine Rolle gefunden. "Wir müssen uns jetzt sortieren und schauen, dass keines der betroffenen Gebiete vergessen wird", sagt Grosse-Hokamp. Die größten Probleme sind die abgeschiedenen Dörfer, die nur auf dem Fußweg erreichbar sind. Frank Marx, der für den Malteser-Hilfsdienst in Kathmandu ist, vermutet, die Hilfe werde "frühestens in den nächsten Tagen auch zu den Menschen ins Epizentrum kommen". Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen schicken inzwischen zwar auch Teams über den beschwerlichen Landweg in die betroffenen Gebiete - aber von Indiens Hauptstadt Neu Delhi dauert das drei bis fünf Tage. Die Hilfsorganisationen gehen deshalb mittlerweile davon aus, dass die Lage in den abgeschiedenen Gegenden Nepals noch viel schlimmer ist als in der Hauptstadt selbst. Ein Überlebender aus Sindhupalchok, einem der am schlimmsten getroffenen Gebiete, sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Ganze Dörfer in unserer Region wurden ausgelöscht. Sie sind weg, und keiner weiß, wie viele Menschen begraben wurden."

Das Holz, um die Toten, zu verbrennen, ist bereits knapp. Und während die Wut in der Bevölkerung auf die Regierung wächst, weil viele Menschen beklagen, noch gar keine oder kaum Unterstützung erhalten zu haben, verlassen Hunderttausende die Hauptstadt. In überfüllten Bussen, auf Motorrädern oder auf Lastwagen versuchen die Menschen, in Regionen zu fliehen, die vom Erdbeben weniger stark betroffen sind. Es heißt, einige bezahlten für die Beförderung den sechsfachen Preis und kämpften bisweilen mit Händen und Füßen um einen Platz, selbst die Plätze auf den Dächern der wackligen Busse seien begehrt. Diejenigen, die bleiben, wohnen auf öffentlichen Plätzen, in Zelten oder unter Planen.

Eine gute Nachricht aber kommt am Dienstagabend dann doch noch: Die 180 Bergsteiger, die am Mount Everest festsaßen, sind laut Nepalesischem Bergsteigerverband allesamt gerettet worden.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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