Nach dem Doppelmord von Bodenfelde:"Das kann nur Jan sein"

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Anwohner bezeichnen ihn als unauffällig, Bekannte als "unsicheren Typen auf der Suche nach Liebe": Der 26-jährige Jan O. gesteht in vollem Umfang, während in Bodenfelde sein erstes Mordopfer, die 14-jährige Nina, zu Grabe getragen wird.

Martin Zips

Nur wenige Meter trennen das Leben und den Tod: Hier die Stelle, wo die Jugendlichen Nina, 14, und Tobias, 13, von ihrem mutmaßlichen Mörder Jan O. am 15. und 20. November im Wald erstickt und erstochen wurden. Keine 100 Meter davon entfernt: Der Dorffriedhof der 3400-Einwohner-Gemeinde Bodenfelde in Niedersachsen, auf dem jetzt Hunderte Menschen bei nassen, kaltem Wetter Abschied von Nina nehmen.

Eine Kerze für Nina - in Bodenfelde wurde am Freitag die ermordete 14-Jährige zu Grabe getragen, am selben Tag legt der mutmaßliche Täter Jan O. ein Geständnis ab. (Foto: dapd)

Noch während der Trauerfeier legt Jan O., 26, vor dem Haftrichter in Northeim ein Geständnis ab. "In vollem Umfang", wie es später bei der Staatsanwaltschaft in Göttingen heißt. Er habe Nina, die er aus dem Internet kannte, zufällig getroffen, soll O. gesagt haben. Sie habe seine Annäherungsversuche abgewiesen, darauf habe er sie getötet. Ein paar Tage später habe er sich am Tatort von Tobias beobachtet gefühlt und auch ihn ermordet. Der Täter sagte, er empfinde Scham für seine Tat.

Gutachter müssen nun den Grad der psychischen Störung von O. klären. Für die Frage, ob O. Gefängnis droht oder "Maßregelvollzug" in einem Landeskrankenhaus, ist das entscheidend. Der in seinem jungen Leben schon dutzendfach straffällig gewordene Mann hatte zuletzt gegen Bewährungsauflagen verstoßen, er hatte erneut zu viel Alkohol getrunken und fahrlässig ein Feuer gelegt, heißt es bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg.

Eine Zeitung schrieb, die Behörden hätten es versäumt, O. rechtzeitig - also noch vor den Taten - festzunehmen, aber das ist etwas zu weit gegriffen. Dass O., den man weiterhin als "mutmaßlichen Doppelmörder" bezeichnen muss, zu so einer Tat fähig war, konnte wohl niemand ahnen. In Bodenfelde unterzog er sich einer Therapie. Vor drei Jahren hatte ein Gericht den jungen Mann aus Uslar wegen schweren Diebstahls zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Wegen seiner Abhängigkeit von Alkohol, Tabletten und Cannabis brauchte er Hilfe.

Nun klebt ein "Amtliches Siegel" der Polizei an seiner Wohnungstür. Hier, im zweiten Stock eines schlichten Mehrfamilienhauses am Rande von Uslar lebte Jan O., der sich im Internet "Kingjany" nannte. Auf einen Briefkasten im Treppenhaus hat jemand mit Filzstift einen rätselhaften Satz geschrieben: "Jan wenn Du nicht raus kommst". Anwohner nennen O. unauffällig, Bekannte beschreiben ihn als unsicheren Typen auf der Suche nach Liebe und einer Freundin. Im Internet hatte er über diverse Netzwerke Kontakte zu jungen Mädchen gesucht und auch gefunden.

"Gestern Mädchen geschlachtet"

Nach dem Mord an Nina soll er bei Facebook geschrieben haben: "Gestern Mädchen geschlachtet. Jeden Tag eins bis mich erwischen." Staatsanwalt Hans-Hugo Heimgärtner sagte, Nina habe O.s Annäherungsversuche abgewehrt. Aus Angst davor, sie könne schreien, habe er sie getötet. Später habe er sich von Tobias in der Nähe des Tatortes ertappt gefühlt - und auch ihn ermordet. Die DNS-Spuren seien eindeutig. Mehr könne man aus "ermittlungstechnischen Gründen" zu den Aussagen O.s derzeit nicht sagen.

Sowohl die Mutter wie auch der Vater des Täters haben sich mittlerweile zu Wort gemeldet. Der Vater berichtet von Problemen seines Sohnes schon seit der Grundschule, vom uferlosen Alkoholkonsum, von mehr als 70 Straftaten und den Abbruch aller Beziehungen zu seinem Kind vor fünf Jahren. "Das alles hat mich psychisch so belastet, dass ich seit Jahren arbeitsunfähig und in Behandlung bin", zitiert die Allgemeine Zeitung den 52-Jährigen aus Uelzen.

Einen Tag später gibt die Mutter derselben Zeitung ein Interview, vom Vater sei sie seit vielen Jahren geschieden, sagt sie. Sie berichtet von massiven Eheproblemen und davon, dass Jan schon mit 13 Jahren "mit einer Schreckschusspistole bewaffnet ein Geschäft überfallen habe". Weder das Jugendamt, noch ein Betreuungsverein hätten ihr helfen können. Als sie von den Doppelmorden in Bodenfelde erfuhr, habe sie ihrem Ex-Mann eine SMS geschrieben: "Das kann nur Jan sein". Auf einem alten Familienfoto ist Jan als 16-Jähriger zu sehen, wie er glücklich ein Baby in den Händen hält: Seinen kleinen Bruder.

Während Jan O. am Freitag vor dem Haftrichter sein dreistündiges Geständnis ablegt, läuten in Bodenfelde minutenlang die Kirchenglocken. Hunderte Menschen nehmen von Nina Abschied, singen ihr Lieblingslied "Somewhere over the rainbow" und bilden eine "Lichterkette gegen Gewalt" zum Friedhof. Hier wird am Samstag auch Tobias beerdigt, der vor genau einer Woche seinen Freund zum Bahnhof brachte und auf dem Rückweg im Wald auf Jan O. traf. Es war Tobias' Mutter, die wenige Stunden später seine Leiche fand.

© SZ vom 27.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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