Mode:Schau mich an!

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Sie riefen ihn "Brillenschlange", heute entwirft Boateng selbst welche. (Foto: Christian Marquardt/Getty Images)

Als Kind nannten sie ihn Brillenschlange, heute entwirft Jérôme Boateng Brillen. Die eigene Modekollektion gehört für Fußballer inzwischen zur Profikarriere wie die Tattoos auf den Unterarmen.

Von Verena Mayer, Berlin

Jérôme Boateng sitzt in Berlin vor der versammelten Weltpresse, aber er will nicht über den FC Bayern reden oder die bevorstehende Europameisterschaft. Er will überhaupt nicht über Fußball sprechen, denn Boateng ist am Mittwoch nicht als Fußballer in die Hauptstadt gekommen. Sondern als Mode-Experte. Besser gesagt, als Designer einer eigenen Brillenkollektion. "JB" heißt sie, die Modelle sind groß, dunkel umrandet und nach den Städten benannt, in denen der 27-Jährige schon mal Fußball gespielt hat. Berlin, Hamburg, Manchester, München.

Boateng, Hose mit Camouflagemuster, graues T-Shirt, Goldkette, trägt an diesem warmen Maiabend selbst Brille. Modell Hamburg, schwarz mit markantem Schlüssellochsteg. Das ist, wenn man den Modemagazinen trauen kann, das neue große Ding im Brillendesign, ruft aber bei den Vertretern der Hauptstadtpresse erst mal Irritationen hervor. Warum nicht Brille Berlin, hat das etwas zu bedeuten? Nein, sagt Jérôme Boateng. Hamburg habe sich nur besser mit seinem Outfit kombinieren lassen.

Aha, alles klar. Früher war es für Fußballer ja noch leicht, gut auszusehen. Der österreichische Mittelfeldspieler Herbert Prohaska etwa ließ sich einfach einen Lockenkopf wachsen, was ihm den Markennamen "Schneckerl" einbrachte, sowie einen Platz in den Geschichtsbüchern als Stilikone. Heute sind Fußballer, wie der italienische Modedesigner Giorgio Armani einmal sagte, moderne Gladiatoren, und die müssen nicht nur kämpfen, sondern auch bis zu den Zehenspitzen gestylt sein. Der Spitzenfußball ist längst ein internationaler Markt der Eitelkeiten wie die Filmindustrie, Fußballer bekommen Designerteile zugeschickt wie sonst nur Hollywood-Stars.

Die eigene Modekollektion gehört für Fußballer inzwischen zur Profikarriere wie die großflächigen Tattoos auf den Unterarmen. In Deutschland haben schon Kevin Großkreutz, Per Mertesacker, Lukas Podolski oder Marco Reus T-Shirts, Kappen oder Kapuzenpullis vorgelegt, und jetzt eben Jérôme Boateng seine eigenen Brillengestelle.

Im Interview spricht der Bayern-Spieler erst einmal von Berlin. Dass es schön sei, wieder in seiner Heimatstadt zu sein, wo er seine Geschwister und die Eltern trifft, "da kann man runterkommen und wieder Kind sein". Man würde sich jetzt ja am liebsten die alten Geschichten erzählen lassen. Vom harten Alltag im Berliner Arbeiterbezirk Wedding, wo Boateng in seiner Kindheit viel Zeit verbrachte. Oder dem Käfig, in dem Jérôme Boateng und sein Halbbruder Kevin-Prince schon als kleine Jungs gegeneinander kämpften, so wie 2010 in dem berühmten WM-Spiel, als Jérôme für Deutschland antrat und Kevin-Prince für Ghana. Das erste Duell zweier Brüder bei einer Fußballweltmeisterschaft.

Aber Jérôme Boateng ist zusammen mit einem Online-Brillenhändler hier und soll Werbung für seine Sehhilfen machen, die er, wie er sagt, "vom Stil her klassisch" findet. Er habe die Brillen selbst entworfen, ein halbes Jahr lang, "das hat Spaß gemacht, da konnte ich ganz ruhig sitzen." Jérôme Boateng steht sehr aufrecht am Balkon eines Berliner Hochhauses, über seine Brillen spricht er in demselben professionellen Nuschelton wie nach einem Bayern-Spiel über die Abwehr. Was nicht heißt, dass man ihm nicht zuhören will. Mit sieben habe er vom Arzt seine erste Brille verschrieben bekommen, erzählt Boateng. Die anderen Kinder hätten ihn deswegen gehänselt und "Brillenschlange" genannt, "zum Glück war ich der Größte in der Klasse." Irgendwann schämte er sich so sehr, dass er jeden Morgen, bevor er zur Schule ging, seine Brille in den Briefkasten steckte. Deswegen habe er auch eine Brille für Kinder entwerfen wollen, "die aus meiner Sicht cool ist".

Es wird spät, die Sonne geht golden über der Berliner Skyline unter, während am Horizont ein Flugzeug in den Himmel steigt wie eine Schwalbe von Arturo Vidal. Boateng lässt den Blick über die Stadt schweifen und erzählt, was sein größter Fußballer-Moment war. Nämlich "der Abpfiff beim WM-Finale, da kam alles zusammen, die Gefühle, wie man als kleiner Junge anfing zu spielen, und dann steht man da und ist Weltmeister". Ein paar schnelle Fragen noch an den Mode-Experten, der Boateng sein will. Stimmt es, dass er 600 Paar Sneakers besitzt? "Ja, und die füllen zwei Räume." Wer ist seiner Meinung nach der bestangezogene Fußballer? "David Beckham, der ist sehr, sehr sicher." Und kann man als Fußballer heutzutage eigentlich noch schlecht angezogen sein? "Ja, aber ich sage keine Namen. Geld allein macht nicht, dass man gut aussieht."

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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