Missbrauchsfall in Staufen:Wie ein Sachbearbeiter seines verkorksten Lebens

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Christian L. am ersten Verhandlungstag. Den Porno-Slang hat er abgelegt, er spricht Amtsdeutsch, als wolle er seinen Taten die Widerwärtigkeit nehmen. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Christian L., der Hauptangeklagte im Missbrauchsfall von Staufen, spielt sich vor Gericht als Aufklärer auf. Psychogramm eines schamlosen Selbstdarstellers.

Von Ralf Wiegand, Freiburg

Selten hat man einen Täter, der solch beschämende Verbrechen begangen hat, derart schamlos erlebt. Christian L., 39, schaut offensiv in die Kameras, die im Gerichtssaal warten, er gesteht in seiner ersten Vernehmung alle Taten, korrigiert Details in der Anklage wie ein Assistent der Staatsanwaltschaft. Ohne mit der Wimper zu zucken. Und er wird weiterreden vor dem Landgericht Freiburg, wo er seit Montag unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagt ist, gemeinsam mit der Mutter eines der Opfer, Michaela Berrin T.

Christian L. benutzt eine eigentümlich amtliche Sprache. Die Primitivität seiner Demütigungen, das Ordinäre seiner pädokriminellen Taten, die Widerwärtigkeiten, sie sollen sich in ihm persönlich nicht spiegeln. Er spricht von "sexuellen Kontakten", "begangenem Missbrauch", "oraler Befriedigung", wie ein Gutachter. Den Porno-Slang des Darknets, in dem er sich herumtrieb, vermeidet er beinahe zwanghaft.

Es ist ein in dieser Art beispielloses Verbrechen hierzulande. Dass Mütter wissen oder ahnen, wenn der Mann im Haus das Kind missbraucht, und wegschauen, aus Schock, aus Scham, aus Angst, ist bekannt. Dass die Mutter zum aktiven Teil eines kleinen Pädokriminellen-Netzwerks wird, ihren Sohn selbst missbraucht, war schwer vorstellbar. Sogar als das heute neun Jahre alte Kind vom Jugendamt in Obhut genommen worden war, kehrte die Frau nicht um, nutzte die Chance nicht. Sie tat alles, damit der Sohn zu ihr und dem Peiniger zurückkehren konnte. Die Qual ging weiter.

Missbrauchsfall Staufen
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Der Missbrauchsfall von Staufen schockiert sogar erfahrene Ermittler. Ihren Anfang nahm die Geschichte bereits im Jahr 2005, nun fällt das Urteil gegen eine Mutter und ihren Lebensgefährten.

Alles nur, weil Christian L. es wollte und weil sie ihn nicht verlieren wollte? Was ist das für ein Mann, der eine Mutter zum Äußersten gebracht haben will?

"Ich bin für jeden wahrscheinlich das Monster und das Letzte", sagt er, um dann wie ein Sachbearbeiter seines verkorksten Lebens aufzutreten. Wenn es stimmt, was er erzählt, gibt es keinen Menschen auf seinem Weg, den man glücklich nennen könnte. Er selbst sei schon "das Produkt einer Vergewaltigung", die Mutter als Kind missbraucht, der Stiefvater alkoholabhängig, die Schwester gezeugt "in einer Affäre der Mutter" und später in einer Pflegefamilie "psychisch misshandelt". Der Stiefonkel soll den sechsjährigen Christian L. sexuell missbraucht haben. Die erste Freundin: "Mit 13 durch Vergewaltigung vorbelastet". So sagt L. das.

Beruflich bekommt er nichts auf die Reihe, er bricht eine Kochlehre ab, Straßenbahnfahrer bleibt ein Traum. Stattdessen kommt er wegen Hehlerei und Betrug in Jugendhaft. Später wechseln die Mandys und Ninas, Katjas und Sabrinas in seinem Leben, meistens jung, meistens geht es um Sex. "Dass ich auf Jugendliche stehe, wusste ich schon länger." Aber auf Kinder?

Nur über Chat-Kontakte lernt er angeblich die Welt der Kinderpornografie kennen - dann trifft er Katharina am Bahnhof von Freiburg. Er ist um die 30, sie 13, was er nicht gewusst haben will. "Es war was Sexuelles, sollte ja nix Festes werden." Auf einem Sexfilm mit ihr und ihm ist ein Kleinkind zu sehen, die Stiefschwester des Mädchens. "Sie ist halt durchs Bild gelaufen", sagt L. lapidar. 2010 wird er für all das zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, soll dann eine Therapie machen. Vom Psychiater fühlt er sich nicht ernst genommen, belügt ihn über seine Neigungen.

Als könne man ein Kind rücksichtsvoll vergewaltigen

Christian L. hat schon gegen drei seiner Kunden ausgesagt, denen er das Kind seiner Lebensgefährtin zum Sex verkauft hatte. Er hat als Zeuge eine Routine entwickelt, als ginge er ins Büro. Aber er hat noch nie über sich selbst aussagen müssen. Seine Familie, die den Kontakt abgebrochen hat, sitzt im Saal auf der Empore; er sucht sie mit Blicken. Michaela Berrin T. hockt zwei Stühle neben ihm und schaut ihn umso intensiver an, je länger er spricht. Sie wirkt, nach neun Monaten Untersuchungshaft, wie eine verwahrloste Person.

Sie hört zu, wie L. alles erklärt. Er gefällt sich als Aufklärer. Für Gerechtigkeit wolle er sorgen, wenn er seine Taten schon nicht wiedergutmachen könne. Den Missbrauch schildert er so, als gäbe es etwas Richtiges im Falschen, als könne man ein Kind auch rücksichtsvoll vergewaltigen. Er habe den Jungen ja "vorbereitet", sagt L.. Anfangs habe er sich sogar eingeredet, der Sohn seiner Freundin möge das vielleicht, was passiert ist. Ein damals Siebenjähriger. Er glaube nicht, dass das Kind ihn hasst. Das Kind, das er so viele Male missbraucht hat und hat missbrauchen lassen, dessen Mutter er zur Täterin gemacht haben will.

Will er etwas gutmachen, indem er die Frau schützt? "Ich war die treibende Kraft", sagt er. Als er Michaela Berrin T. nach seiner Haft kennenlernte, habe sie ihm anfangs imponiert, "weil sie sich von niemandem was sagen ließ". Aber die Starke habe sie nur nach außen markiert. Sie sei mit dem Kind überfordert gewesen und habe sich an ihn, an Christian L., geklammert. "Wenn ich einen Kaffee wollte, ist sie gerannt." Sie habe sich gehen lassen. Er glaubt, auf sein Interesse an Kindern sei sie nur eingestiegen, "weil sie mir besser gefallen wollte". Warum sollte sie überhaupt mitmachen, will der Richter wissen, da fällt einmal die Fassade. "Weil's mich einfach geil gemacht hat!", entfährt es L., der sonst so kontrolliert wirken will. Einen Vorschlag des Richters zur Abkürzung seiner Einlassung lehnt er ab: "Ich bin hier die Hauptperson."

© SZ vom 13.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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