Missbrauchs-Vorwürfe gegen Woody Allen:Schatten der Vergangenheit

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Woody Allen bei der Premiere seines Films "Blue Jasmine". (Foto: Thomas Samson/AFP)

Schuldig oder Opfer einer Kampagne seiner Ex-Frau? Woody Allen soll sie als Siebenjährige missbraucht haben, erzählt die Adoptivtochter des Filmemachers, Dylan Farrow, in einem spektakulären offenen Brief. Nun diskutiert eine ganze Nation über den Fall.

Von Christian Mayer

Der Film "Blue Jasmine" von Woody Allen, der gleich drei Mal für die diesjährigen Oscars nominiert ist, hat bei allem absurden Witz einen traurigen Kern. Die Schatten der Vergangenheit wird man nicht so leicht los, den Abgründen des eigenen Lebens kann man nicht entkommen, selbst wenn man es, wie die Hauptdarstellerin Cate Blanchett, mit dem Mut der Verzweiflung versucht.

Der vielfach preisgekrönte Regisseur befand sich nach den positiven Kritiken gerade erst auf einem Höhepunkt seiner Karriere, bei den Golden Globes Mitte Januar wurde er mit dem Preis für sein Lebenswerk geehrt, und weil der Meister selbst nicht zur Feier kam, nahm Schauspielerin Diane Keaton die Trophäe stellvertretend entgegen.

Nun steht die Reputation, die Glaubwürdigkeit, die Ehre des von vielen bewunderten Filmemachers auf dem Spiel. Es sind im Grunde alte Vorwürfe gegen den 78-Jährigen, der bereits vor 20 Jahren damit konfrontiert wurde, seine Adoptivtochter sexuell missbraucht zu haben. Neu ist aber die emotionale Wucht, die sehr persönliche, überaus drastische Schilderung.

"Ich konnte das Geheimnis nicht länger bewahren"

Dylan Farrow beschreibt in einem offenen Brief, den die New York Times am Sonntag veröffentlicht hat, wie sie 1992, im Alter von sieben Jahren, von ihrem Adoptivvater in einen "düsteren Dachbodenraum im zweiten Stock unseres Hauses" geführt wurde. "Er sagte mir, ich solle mich auf den Bauch legen und mit der elektrischen Eisenbahn meines Bruders spielen. Dann missbrauchte er mich sexuell." Er habe ihr ins Ohr geflüstert, dass dies ihr gemeinsames Geheimnis sei.

"So lange ich mich erinnern kann, hat mein Vater Dinge getan, die ich nicht mochte", schreibt Dylan Farrow. Doch nach dem Übergriff an jenem Tag habe sie sich an ihre Adoptivmutter, an Woody Allens damalige Lebens- und Filmpartnerin, Mia Farrow, gewandt: "Ich konnte das Geheimnis nicht länger bewahren."

Die Beziehung zwischen Allen und Mia Farrow ging 1992 unter dramatischen Umständen zu Ende. Die Schauspielerin hatte herausgefunden, dass Woody Allen ein Verhältnis mit der damals 21-jährigen Soon-Yi, einer Adoptivtochter aus ihrer früheren Beziehung, hatte. Im anschließenden Sorgerechtsstreit brachte Mia Farrow vor Gericht auch die Missbrauchsvorwürfe zur Sprache. Woody Allen verlor das Sorgerecht für Dylan, das Gericht und mehrere Mediziner kamen aber zu dem Schluss, dass es keinen Anlass für weitere Ermittlungen oder eine Anklage gab. 1997 heiratete der Regisseur dann Soon-Yi, mit der er später selbst zwei Töchter adoptierte.

In dem offenen Brief schreibt Dylan Farrow auch über die Folgen ihrer Enthüllung: "Ich wusste nicht, dass man mich zwingen würde, meine Geschichte immer und immer wieder zu erzählen, einem Arzt nach dem anderen. Ich sollte zugeben, dass ich log - vor dem Hintergrund eines mir unverständlichen Rechtsstreits." Dass Woody Allen nicht verurteilt worden sei, habe sie als Heranwachsende schwer belastet. Noch schlimmer sei es gewesen, dass die Filmbranche in Hollywood die Vorwürfe ignoriert habe. Sie wolle nun anderen Opfern Mut machen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Zuletzt wendet sich die 28-Jährige direkt an Hollywood-Stars wie Cate Blanchett, Alec Baldwin, Scarlett Johansson und Diane Keaton, die zu den Lieblingsschauspielern von Woody Allen gehören: "Was, wenn es dein Kind gewesen wäre?"

Bisher schweigt der Regisseur zu den Vorwürfen. Wie die New York Times berichtet, war sein Management zu keiner Stellungnahme erreichbar. Es ist auch kaum zu erwarten, dass sich Woody Allen in irgendeiner Form dazu äußern wird, das hat er in der Vergangenheit auch nicht getan. Aber es gibt Menschen in seinem Umfeld, die Dylan Farrows Anschuldigungen für unglaubwürdig halten. Etwa der Dokumentarfilmer Robert B. Weide, der einen zweiteiligen Film über den Regisseur gedreht hat.

In einem Beitrag auf dem Nachrichtenportal The Daily Beast warnte er Ende Januar vor einer medialen Vorverurteilung und vor falschen Schlüssen. Weide hält es für sehr unwahrscheinlich, dass sich Woody Allen im August 1992, als der Rosenkrieg mit Mia Farrow bereits offen ausgebrochen war, auf diese Weise der Siebenjährigen genähert habe, zu einer Zeit, als er gewissermaßen unter Beobachtung stand. Kein Mensch außer Woody Allen und seiner Adoptivtochter kenne die Wahrheit.

Der Sohn twitterte die Vorwürfe am Abend der Golden Globes

Dylan Farrows Brief kommt nicht ganz überraschend. Zuvor hatte Ronan Farrow, der Sohn von Woody Allen und Mia Farrow, seinen Vater während der Verleihung der Golden Globes per Twitter des Missbrauchs an seiner Adoptivtochter Dylan bezichtigt. Mehr Aufmerksamkeit als an diesem Abend, als Woody Allen in Abwesenheit für sein Lebenswerk geehrt wurde, hätte man kaum finden können.

Ein wenig seltsam kann man auch die Form der Veröffentlichung in der New York Times finden. Der offene Brief ist nicht im redaktionellen Teil erschienen, sondern in einer als Meinungsbeitrag gekennzeichneten Kolumne des Autors Nicholas Kristof. Der zweifache Pulitzer-Preisträger, der einen Bestseller über die Rechte von Frauen verfasst hat, sei eng mit Mia Farrow befreundet und daher nicht objektiv, so die Kritik amerikanischer Medien.

Schon jetzt wird die Diskussion um Woody Allens Vergangenheit im Internet mit äußerster Härte geführt. Die einen glauben fest an Allens Schuld und solidarisieren sich mit der Frau, die sich als Opfer bezeichnet, die anderen sehen den Filmemacher als Opfer einer Kampagne, die letztlich von Mia Farrow ausgehe. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird die Debatte so kurz vor der Oscar-Verleihung am 2. März noch giftiger, noch emotionaler werden. Es ist, ganz egal, was nun passiert, eine traurige Geschichte.

© SZ vom 03.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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