Missbrauch in Sommerfreizeit:"Klima sexueller Gewalt"

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Drei Jugendliche haben die grausamen Misshandlungen an Kindern in der Sommerfreizeit auf Ameland gestanden - doch die Polizei rechnet mit bis zu 13 Beschuldigten. Der Feriencampleiter wird derweil Ziel von Hass und Drohungen.

Sie sind selbst erst 14 und 15 Jahre alt und doch was sie den nur wenig jüngeren Kindern angetan haben, war empathielos und brutal. Drei Jungen haben sich bisher zu den Gewalttaten in einem Ferienlager auf Ameland bekannt. Noch sind nicht alle Zeugen vernommen. Die drei Jugendlichen haben bei Vernehmungen den sexuellen Missbrauch in einem Feriencamp auf der niederländischen Insel Ameland eingeräumt und gelten damit als Beschuldigte. Sie sollen jüngere Kinder nachts im Schlafsaal grausam gequält haben.

Der Missbrauch im Feriencamp ist vermutlich schlimmer als bislang bekannt. (Foto: ag.ddp)

Der mögliche Täterkreis sei aber weitaus größer, hieß es von der Staatsanwaltschaft. "Wir gehen davon aus, dass maximal 13 Personen als Beschuldigte in Betracht kommen", sagte der Sprecher der Osnabrücker Staatsanwaltschaft, Alexander Retemeyer.

Wer wusste was?

Die mutmaßlichen Täter sollen bei der Ferienfreizeit des Stadtsportbundes Osnabrück zwischen dem 25. Juni und 8. Juli jüngere Kinder im Schlafsaal aus den Betten herausgerissen, in die Mitte des Raumes gelegt und ihnen die Hose heruntergezogen haben. Den Opfer wurden nach Angaben von Retemeyer Colaflaschen, Stiele von Kehrschaufeln oder Besen in den After gestoßen. Es seien bisher sechs Opfer bekannt, sagte Retemeyer. Zumindest in zwei Fällen hätten die Eltern aber eine medizinische Untersuchung ihrer Kinder auf Verletzungen abgelehnt. "Wir haben nicht ein Opfer, wo wir bisher sagen könnten, da sind die und die Verletzungen aufgetaucht, die möglicherweise auch heute noch zu sehen wären", sagte Retemeyer.

Von den 39 Jugendlichen in dem Schlafsaal seien bislang 25 vernommen worden. Möglicherweise kämen noch andere Jugendliche aus Nachbarhäusern hinzu. Es müsse geklärt werden, wer was gewusst habe.

Die Betreuer seien noch nicht vernommen worden. Das solle nach der Vernehmung aller Jugendlichen geschehen. Das Betreuerteam werde von den Opfern beschuldigt, auf konkrete Bitten um Hilfe nicht reagiert zu haben, sagte Retemeyer.

Sexualpraktiken mit der Faust

Wie jetzt bekannt wurde, ist offenbar während des Ferienlagers unter den Jugendlichen der Begriff "Fisting" gefallen. Der Ausdruck stammt aus der Schwulen- und Sadomaso-Szene und bezeichnet Sexualpraktiken mit der Faust. Wie der Leiter des Feriencamps Dieter Neuhaus sagte, habe er selbst diesen Begriff aber erst nach dem Ferienlager von einem Jugendlichen gehört und damit zunächst nichts anfangen können.

Neuhaus sieht sich inzwischen einem "Kesseltreiben" ausgesetzt. In der Öffentlichkeit werde er als Verantwortlicher für die Missbrauchsfälle angesehen, obwohl er erst nach der Rückkehr nach Osnabrück von den Quälereien erfahren habe, wie er sagte.

Die Geschäftsstelle des Stadtsportbundes, der das Ferienlager organisiert hatte. (Foto: ag.ddp)

Nachdem er Kenntnis von den Vorwürfen hatte, sei er zu den Teilnehmern, Eltern und Betreuern gefahren und habe eine Liste mit zehn mutmaßlichen Tätern an die Polizei übergeben. Er selbst habe die Ermittlungen damit angestoßen. "Das ist für mich wichtig", sagte er. Er sei nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle von seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten beim Stadtsportbund Osnabrück zurückgetreten, um als Privatmann in der Affäre schneller reagieren zu können. "Als Mitglied des Stadtsportbundes hätte ich nicht die Handlungsfreiheit, wie ich sie als Privatperson habe", sagte der 65-Jährige. Er habe seit 37 Jahren an den Ferienfreizeiten teilgenommen. Nun erhalte er Mails und Anrufe, in denen er beschimpft werde oder ihm Prügel angedroht werden. "Da kommen Drohungen, dass man das, was ich den Kindern angetan haben soll, auch an meiner Frau vornehmen werde", sagte Neuhaus.

Er betonte, über die schlimmen Zustände in dem Schlafsaal des Hauses "Silbermöwe", in dem 39 Jugendliche untergebracht waren, während des Ferienlagers nichts gehört zu haben. Er wisse nichts von Hinweisen, die die Opfer der Quälereien ihren Betreuern gegeben haben sollen. "Die Freizeit bestand aus drei Häusern. Ich war in dem Haus, in dem das leider passiert ist, vielleicht drei- bis viermal am Tag, um dort Einkäufe abzuliefern", sagte Neuhaus.

Pädagogisch geschult

Das gesamte Betreuerteam sei pädagogisch geschult gewesen. Es habe sich um Erzieher gehandelt, um Menschen in der Ausbildung zum Erzieher oder um Studenten. "Alle haben durchweg Erfahrung in der Kinderbetreuung", sagte Neuhaus. Das Ehepaar, das das Feriencamp geleitet habe, sei eher älter und gehöre schon seit vielen Jahren zum Betreuerteam.

Nach Ansicht des Präsidenten des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, haben die Betreuer des Ferienlagers auf Ameland die aggressive Stimmung unter den Teilnehmer wohl "nicht mitbekommen". Hilgers sagte an diesem Donnerstag, "dass sie sozusagen ihre Aufgabe nicht so wahrgenommen haben, dass sie empfunden haben, was ist eigentlich in unserer Gruppe los (...) und nicht festgestellt haben, dass es ein Klima sexueller Gewalt und ein Klima der Angst gab".

Er könne sich dies nur damit erklären, dass die Betreuer selbst Urlaub gemacht und ihre Aufgabe nicht ordentlich erledigt hätten. Eltern sollten ihr Kind nur anmelden, wenn es ein Vorbereitungstreffen gebe und sie sollten an diesem teilnehmen. Dort könnten sie dann die anderen Eltern und Kinder und auch die Betreuer kennenlernen.

Beim Kinderschutzbund bestehe schon lange die Regel, dass alle Betreuer eine pädagogische Ausbildung brauchen. "Und zweitens auch selbst jetzt alle Ehrenamtlichen auch ein Zeugnis vorlegen müssen - ein polizeiliches erweitertes Führungszeugnis", sagte Hilgers weiter. Er schränkte ein, dass solche Regeln nicht immer vor solchen Ereignissen schützten.

Der niedersächsische SPD-Vize-Fraktionschef Uwe Schwarz kritisierte in der Neuen Osnabrücker Zeitung, die CDU/FDP-Landesregierung habe sich aus der Fort- und Weiterbildung fast komplett zurückgezogen. Er regte an, die Vorlage eines Führungszeugnisses von Jugendleitern zu prüfen. Mehrere Organisationen wiesen darauf hin, dass sie Schulungsmaterialien über Sexualität und Prävention entwickelt hätten.

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