Massenmord in Orlando:Welche Faktoren Massaker beeinflussen

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"Ein Todesschützen-Szenario, das sich in eine Geiselnahme verwandelt hat - das ist etwas ungewöhnlich". Der Nachtklub Pulse in Orlando am Tag nach dem Massaker. (Foto: AP)

Der Sondereinsatztrainer und Amoklaufforscher Pete Blair über Orlando und die Frage, wie Angegriffene ihre Überlebenschancen erhöhen können.

Interview: Johannes Kuhn, Orlando

Pete Blair ist Juraprofessor an der University of Texas. Dort forscht er über Amokläufe und Massenschießereien. Der 44-Jährige ist auch Direktor des "Advanced Law Enforcement Rapid Response Training", einem Übungsprogramm für Polizisten in Kriseneinsätzen.

SZ.de: Jenseits der hohen Zahl von Todesopfern: Wie unterscheidet sich die Gewalttat von Orlando von ähnlichen Vorfällen?

Pete Blair: Es war ein Todesschützen-Szenario, das sich in eine Geiselnahme verwandelt hat. Das ist etwas ungewöhnlich. Normalerweise stellen die Polizisten den Schützen und dringen in das Gebäude ein, hier ging der Mann wohl nach einem Schusswechsel zurück und nahm Geiseln. Die Polizisten agierten daraufhin vorsichtiger.

Wann ist das gerechtfertigt?

Normalerweise versucht man, schnell zu stürmen - aber man muss erkennen, ob sich die Situation geändert hat und das ist nicht leicht. Wenn es eine Geiselnahme ist, kommen andere Teams, die Verhandler, das dauert. Gleichzeitig weiß man nicht, wie viele Verwundete im Gebäude sind und das verzögert die medizinische Hilfe.

In den USA heißt es immer wieder, dass Zivilisten mit Feuerwaffen Massaker verhindern könnten. Stimmt das?

Es gab Fälle, in denen bewaffnete Bürger Angreifer gestoppt haben - Polizisten außerhalb ihrer Dienstzeit, bewaffnetes Sicherheitspersonal oder auch Menschen, die eine Waffe bei sich trugen. Aber natürlich gibt es das große Problem, dass die Polizei beim Eintreffen nicht erkennen kann, wer der Angreifer und wer der Verteidiger ist und die Situation dadurch verwirrender wird, als sie ohnehin schon ist.

Pete Blair von der University of Texas. (Foto: University of Texas)

Wie kann ich als Angegriffener meine Überlebenschance erhöhen?

Wir lehren eine Strategie, die aus drei Bausteinen besteht: Vermeiden, verweigern, verteidigen. Um den Schützen zu vermeiden, muss man vom Ort des Geschehens fliehen. Wenn das nicht geht, sollte man versuchen, ihm den Zutritt zu verweigern. Wer in einem Büro sitzt, verbarrikadiert am besten die Türen und macht das Licht aus, damit der Raum verlassen wirkt. Wenn nichts mehr hilft, bleibt nur noch die Verteidigung.

Gibt es Vorbereitungen, die sich treffen lassen?

Es hilft, sich darüber im Klaren zu sein, welche Möglichkeiten ich habe, also meine Umgebung zu kennen. Wer einen Nachtklub betritt, kann sich schnell einen Überblick verschaffen: Wo sind die Notausgänge, gibt es vielleicht einen Hinterausgang? In der Regel rennen bei Massenpaniken alle nach vorne, deshalb ist es gut, den anderen Weg zu kennen.

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Fest steht: 49 Menschen wurden erschossen, 53 verletzt. Doch die Polizei hat bisher nur sehr lückenhaft rekonstruiert, was sich in dem Gay-Club "Pulse" abgespielt hat. Versuch einer Rekonstruktion in Grafiken.

Sie haben eine ganze Reihe von Amokläufen untersucht: Was ist jenseits der Kaltblütigkeit des Schützen der Faktor, der über das Ausmaß entscheidet?

Wir erkennen keinen direkten Zusammenhang zwischen der Waffenart, also beispielsweise automatischen Gewehren, und der Zahl der Toten. Der Täter, der 32 Menschen an der Virginia Tech erschoss, verwendete zum Beispiel zwei Pistolen. Es geht darum, wie viele Menschen in einem Raum zusammen eingesperrt sind und wie sie die oben genannten Strategien anwenden können.

In Orlando war die Musik so laut, dass die Besucher kurz dachten, die Schüsse seien ein Teil davon. Halbautomatische Waffen können in diesen paar Sekunden Verzögerung schon viel Schaden anrichten. In vollen Räumen mit wenig Licht ist zudem häufig nicht klar erkennbar, wo der Schütze steht. All das spielt eine Rolle.

Gibt es etwas, das wir im Umgang mit solchen Taten besser machen könnten?

Unser Institut hat die Kampagne "Don't name them" ins Leben gerufen. Wir sollten die Täter nicht beim Namen nennen und ihnen die Aufmerksamkeit geben, die sie sich wünschen. Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen der Medienberichterstattung und Wiederholungstaten kurz darauf. Gebt ihnen keine Namen, stellt die Helden, die Opfer, die betroffenen Gemeinschaften in den Mittelpunkt.

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