Loveparade-Katastrophe in Duisburg:Zehn Anklagen - Sauerland nur Zeuge

Lesezeit: 3 min

Die Duisburger Staatsanwaltschaft will für die Loveparade-Katastrophe von 2010 zehn Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters vor Gericht bringen. Die Anwälte der Opfer kritisieren, dass Ex-Oberbürgermeister Sauerland und der Chef des Veranstalters nur als Zeugen gehört werden sollen.

Dreieinhalb Jahre haben die Staatsanwälte in Duisburg ermittelt. Sie haben 37.000 Seiten Akten durchforstet, fast 1000 Stunden Videomaterial gesichtet und fast 3500 Zeugen vernehmen lassen. Wenn es nach ihnen geht, werden sich Adolf Sauerland, der ehemalige Duisburger Oberbürgermeister, und Rainer Schaller, der Chef der Veranstalterfirma Lopavent, vor Gericht erklären müssen, zur Loveparade-Katastrophe 2010, bei der in einer Massenpanik 21 Menschen erdrückt oder zu Tode getrampelt worden.

Sie sollen aussagen - als Zeugen. Nicht als Angeklagte. Denn nach Auffassung der Staatsanwaltschaft besteht kein Grund, Ermittlungen einzuleiten, auch wenn Schaller und Sauerland in der Öffentlichkeit als die beiden umstrittensten Protagonisten angesehen werden. "Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung der rechtswidrigen Genehmigung genommen haben. Sie durften darauf vertrauen, dass die für die Planung und Genehmigung Verantwortlichen das Vorhaben aufgrund ihrer Fachkenntnisse ordnungsgemäß prüfen würden", sagt Horst Bien, der Leiter der Duisburger Staatsanwaltschaft.

Bevor er auf der Pressekonferenz erklärt, warum gegen Schaller und Sauerland, der 2012 als Oberbürgermeister abgewählt wurde, keine Anklage beantragt wird, stellt Staatsanwalt Bien eine persönliche Bemerkung voran - und richtet das Wort an die Opfer und Hinterbliebenen: Schmerz und Trauer könnten durch die Anklage nicht gelindert werden, sagt Bien. "Die Duisburger Staatsanwaltschaft hatte die Aufgabe die Vorfälle strafrechtlich zu bewerten - wir haben nicht nach politischer oder moralischer Verantwortung gesucht."

Ergebnis dieser Bewertung ist nun, dass zehn Personen angeklagt werden sollen. Dazu zählen auf Seiten des Veranstalters Lopavent vier Mitarbeiter, auf Seiten der Stadt Duisburg sechs Mitarbeiter. Bei Lopavent sind es der Gesamtleiter, der Produktionsleiter, der Verantwortliche für Sicherheit sowie der technische Leiter. Bei der Stadt sind es drei führende Angestellte sowie ein Team von drei Mitarbeitern, das unmittelbar mit dem Planungs- und Genehmigungsverfahren befasst war.

Schwerwiegende Fehler bei Planung und Genehmigung

Ihnen allen wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung sowie fahrlässige Körperverletzung vor. Der Hauptvorwurf: Sie hätten vorher wissen müssen, dass die Rampe, die zum Veranstaltungsgelände der Loveparade führte, viel zu eng gewesen sei und niemals eine solche Menschenmasse hätte aufnehmen können. Sowohl bei der Planung als auch bei der Genehmigung der Loveparade seien schwerwiegende Fehler gemacht worden. Zudem seien sicherheitsrelevante Auflagen nicht umgesetzt oder nicht ausreichend überwacht worden.

Anfangs gab es Ermittlungen gegen 16 Verantwortliche, doch gegen sechs Beschuldigte hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt. Darunter sind der Einsatzleiter der Polizei am Tag der Veranstaltung , der Chef des Duisburger Ordnungsamtes, der Ordnungsdezernent der Stadt und der Lopavent-Mitarbeiter, der für die Sicherheit im Eingangsbereich verantwortlich war. "Die Ermittlungen haben keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben, der eine Anklageerhebung hätte rechtfertigen können", sagte Bien. Ihr Handeln sei "für den Ausgang des Geschehens nicht ursächlich" gewesen.

Prozess in diesem Jahr unwahrscheinlich

Die Planer des Veranstalters hätten dagegen erkennen müssen, dass das Sicherheitssystem versagen und lebensgefährliche Situationen entstehen würden, sagte der Staatsanwalt. Die drei Mitglieder des Teams bei der Stadt hätten die Genehmigung erteilt, obwohl sie hätten erkennen müssen, dass die Veranstaltung so nicht durchführbar gewesen sei. Ihren drei Vorgesetzten wirft die Staatsanwaltschaft vor, dieses Team nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt zu haben.

Über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung der Hauptverhandlung muss nun das Duisburger Landgericht entscheiden. Es dürfte lange dauern, bis die Richter die Anklage geprüft haben. Würde man alle Aktenseiten aufeinanderlegen, so sagt Staatsanwalt Bien, käme ein Papierberg heraus, der sich 50 Meter hoch türmen würde. Dass es noch in diesem Jahr zu einem Prozess kommt, gilt als unwahrscheinlich.

Für den Anwalt Julius Reiter, der Betroffene und Hinterbliebene der Loveparade-Katastrophe vertritt, ist schon jetzt klar, dass die Chance auf Aufklärung der Katastrophe gering ist. Für die Opfer sei es schwer erträglich, dass weder der Chef des Veranstalters noch ein Polizeiverantwortlicher auf der Anklagebank sitzen sollen. Das führe dazu, dass man sich mit der Rolle der Polizei "nicht groß beschäftigen müssen", sagte Reiter. "Die Opfer kriegen natürlich den Eindruck, dass man die Großen laufen lässt und die Kleinen hängt."

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/Reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: