Kunst aus Stuttgart-21-Bäumen:Von der Rinde zum Käferhotel

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Für den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs mussten 108 Platanen, Pappeln und Eichen fallen. Was soll nun aus den gefällten Bäumen werden? An Ideen mangelt es den Umweltschützern nicht.

Roman Deininger

Das Schlimmste, sagt Anette Gonser, das Allerschlimmste wären Möbel. Tische und Schränke, die für Geld verschachert werden und die sich dann irgendwer irgendwo nichts ahnend in die Wohnung stellt. Oder ins Büro.

Die Umweltschützer haben monatelang demonstriert - vergeblich. Letzendlich wurden die 108 Bäume im Stuttgarter Schlossgarten für den neuen unterirdischen Kopfbahnhof gefällt. Jetzt möchten die Aktivisten dem toten Holz "die Chance geben, neues Leben zu entfalten". (Foto: dpa)

Gonser ist Parkschützerin, eine leidenschaftliche Gegnerin der Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Über Monate verbrachte sie die meisten ihrer Tage und Nächte im Schlossgarten, hielt Wache. Aber am Ende hat sie ihren Park nicht schützen können. Stuttgart 21 wird kommen, und im Schlossgarten mussten im Februar für die Baustelle 108 Bäume fallen. Platanen, Pappeln, Eichen. Für Gonser und einige andere ist der Kampf um die Bäume damit jedoch nicht vorbei. Sie sagt: "Viele Menschen hängen emotional an diesen Bäumen. Sie haben sich aus ganzem Herzen dafür eingesetzt, dass sie nicht abgeholzt werden. Jetzt sollten die Bäume zumindest den Menschen zurückgegeben werden." Und zwar nicht als Möbel.

Im Streit um Stuttgart 21 haben die Bahn und die Behörden sehr lange sehr viel falsch gemacht. Nun wollen sie alles richtig machen. Deshalb kamen im Stuttgarter Rathaus kürzlich 15 Bürger und eine Reihe von Experten zusammen, um über totes Holz zu diskutieren. Ein Kulturwissenschaftler sprach zur Rolle des Baums in Mythologie und Religion, über den Lebensbaum, den Weltenbaum und den Baum der Erkenntnis. Ägypter, Indianer, Chinesen - sie alle hätten schon zu Urzeiten gewusst, dass man selbst totem Holz "die Chance geben kann, neues Leben zu entfalten". Diese Chance sollen also auch die 108 Bäume aus dem Schlossgarten erhalten.

Bäume sollen keinen "wirtschaftlichen Zwecken" dienen

Wie genau sich das neue Leben entfalten soll, ist - wie man es nicht anders kennt bei Stuttgart 21 - umstritten. Einstimmig legten die Teilnehmer des "Holzforums" im Rathaus fest, dass die Bäume keinesfalls "wirtschaftlichen Zwecken" dienen dürften. Ob damit auch ein junger Schreiner außen vor ist, für den "ein Baum in einem Möbelstück weiterlebt", ist aber noch offen. Am liebsten wäre den meisten, wenn die Bäume als Rohmaterial für Kunst im öffentlichen Raum verwendet würden; auch Projekte mit "ökologischer Funktion" oder "pädagogischem Zweck" sind grundsätzlich gewünscht.

Über die Vorschläge soll aber ein Gremium entscheiden, dem auch ein Bahn-Vertreter angehört. Der unabhängige Moderator des Holzforums findet, der Konzern bezahle eine halbe Million Euro für die ganze Aktion, dann dürfe die Bahn auch "mit am Tisch sitzen". Die Parkschützer finden, das alles rieche schon wieder sehr verdächtig nach einer "Alibi-Veranstaltung".

Erst mal werden die Juroren eine lange Ideenliste studieren müssen. Imker wollen aus den Bäumen Bienenstöcke machen, Kindergärten denken an Spielgeräte. Das örtliche Naturkundemuseum erhofft sich von den zum Teil Jahrhunderte alten Stämmen Aufschluss über den Klimawandel. Ein Teilnehmer favorisiert ein "Käferhotel", eine Teilnehmerin regt an, "die Bäume wieder zurück in die Natur zu legen als Biotop für die Tiere".

Und Theresia Moosherr will aus ihnen "Versöhnungsskulpturen" machen: mächtige, dabei elegante Frauenfiguren, die nach Ende der Bauarbeiten im Schlossgarten stehen könnten. Daheim in Oberschwaben hat die Künstlerin entlang des Flusses Schussen "Wasserhüterinnen" aufgestellt, das Konzept kam auch beim Holzforum gut an. Nicht so gut soll bei den Parkschützern angekommen sein, dass es Moosherr ein wenig an Empathie für den Juchtenkäfer vermissen ließ.

Die gefällten Bäume sind nicht die einzigen emotionalen Erinnerungsobjekte der Stuttgart-21-Gegner. Auch aus dem Schutt der beiden abgerissenen Flügel des bestehenden Hauptbahnhofs ist inzwischen Kunst entstanden. Die Bruckstücke der Fassade - bester Crailsheimer Muschelkalk - waren in einem Steinpark in Tübingen gelandet und wurden dort für etwa 100 Euro die Tonne verkauft. Neben Rentnern, die damit ihre Beete befestigen wollen, hat auch der Stuttgarter Bildhauer Uli Gsell zugeschlagen. Seit drei Jahren geht er auf die "Montagsdemos", er sagt, er habe "erst Skrupel überwinden müssen", die Brocken zu schneiden und zu schleifen. Aber jetzt sind die Objekte fertig und ab 2000 Euro das Stück zu haben. Er empfinde sie als "Relikte, ja vielleicht sogar Reliquien unseres Kopfbahnhofs", sagt Gsell.

Das Bedürfnis, mit Hilfe des Bauschutts zu Stuttgart 21 Stellung zu nehmen, verspürte auch Gsells Bildhauerkollege Xaver Sedelmeier. Sein Bedürfnis war nur etwas anders gelagert. "Mir ging bei dem Konflikt total auf die Nerven, dass beide Seiten nicht mal mehr miteinander reden können", sagt Sedelmeier. Also hat er aus den Trümmern Stühle gemacht, massige Steinstühle, die naturgemäß schwer zu verrücken sind. "Ich hoffe, dass die Leute sich mit ihren festgefahrenen Positionen auseinandersetzen." In seinen Installationen gibt es auch immer ein paar Stühle, die einander zugewandt sind. Auf denen, sagt Sedelmeier, könnten sich Stuttgart-21-Befürworter und Stuttgart-21-Gegner eigentlich sehr bequem unterhalten.

© SZ vom 31.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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