Kirche:Vergelt's Gott

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Im Februar präsentierte das Bistum sein Stiftskreuz. Für die Wiederbeschaffung sei kein Geld geflossen, hieß es damals. Das stimmte nicht. (Foto: dpa)

Das Bistum Münster hat kürzlich die Rückkehr eines gestohlenen Stiftskreuzes gefeiert. Jetzt stellt sich heraus: Das tausend Jahre alte Reliquiar wurde offenbar von Kriminellen zurückgekauft.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

Das tausend Jahre alte Kreuz strahlt nicht nur wegen der Edelsteine, Bergkristalle und Perlen, die in sein reliefverziertes Goldblech eingearbeitet sind. Es hat es auch in sich, wie eine lateinische Inschrift auf der Rückseite vermerkt: Das Kreuz berge 17 Reliquien, heißt es da, etwa "vom Holze des Herrn" oder "vom Schwamme des Herrn", dazu Splitter vom Bette Mariä und Teile "aus dem Körper" etlicher Apostel und anderer Heiliger. Einst hat eine Äbtissin namens Berhta das Kreuz, vermutlich mit kaiserlicher Unterstützung, ihrem Damenstift im münsterländischen Borghorst gestiftet, zuletzt wurde es jahrelang in der örtlichen Pfarrkirche St. Nikomedes ausgestellt. Doch am 29. Oktober 2013 um 13.24 Uhr war das Borghorster Stiftskreuz plötzlich weg.

Drei Männer hatten die Glasvitrine, die es schützen sollte, aufgebrochen und das 41 Zentimeter hohe Kunstwerk gestohlen. Binnen weniger Wochen konnten die Diebe festgenommen werden. Zeugen hatten beobachtet, wie sie zu einem Auto mit Bremer Kennzeichen liefen, auf Videoaufnahmen gleich mehrerer Tankstellen waren sie gut zu erkennen. Die Spur führte in die Szene der Miri-Clans, gebildet von Angehörigen einer kurdisch-libanesischen Volksgruppe, denen die Polizei in ihrem Kampf gegen organisierte Kriminalität vor allem in Bremen und Essen öfter begegnet. Im Oktober 2015 wurden die drei Männer zu viereinhalb bis fünf Jahren Haft verurteilt.

Es gab ein mysteriöses Treffen. Danach war ein Geldkoffer leer und das Kreuz wieder da

Doch das Stiftskreuz blieb verschwunden. Bis es vor einem Monat auf einmal wieder auftauchte. Erleichtert präsentierte Münsters Bischof Felix Genn am 17. Februar die "heil und unversehrt" wiedergefundene Antiquität. Bei der Wiederbeschaffung sei, versicherte der Anwalt des Bistums, Jürgen Römer, kein Geld geflossen.

Das allerdings war nicht die Wahrheit. Vor dem Landgericht Münster präsentierte Römer inzwischen eine andere, ziemlich spektakuläre Geschichte, in der es um richtig viel Geld ging, nämlich um 100 000 Euro. Der Anwalt musste als Zeuge in einem Prozess gegen den 42-jährigen mutmaßlichen Drahtzieher des Kreuzraubs aussagen. Der Mann wurde im September verhaftet und später angeklagt, das Kreuz von den drei Tätern gekauft zu haben. Er selbst will den Kunsträubern lediglich einen Käufer vermittelt haben. Der Mann wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, nachdem er beteuert hatte, er könne bei der Wiederbeschaffung helfen.

Am 14. Februar kam es deshalb zu einer mysteriösen Begegnung im Bremer Ostertorviertel: Bistumsanwalt Römer suchte in Begleitung eines Vertreters der Düsseldorfer Versicherung Provinzial, die für das verschwundene Kreuz aufkommen musste, und eines Kunstsachverständigen den Rechtsanwalt Martin Stucke auf, den Verteidiger des Angeklagten. Mit dabei hatte Römer eine Aktentasche, darin 100 000 Euro in Scheinen. Man habe sich in der Küche der Kanzlei Stucke getroffen, sagte Römer nach Angaben von Gerichtssprecher Daniel Stenner und einem Bericht der Westfälischen Nachrichten vor Gericht. Dann habe es an der Tür geklingelt, Stucke sei mit der Aktentasche nach draußen gegangen und nach fünf Minuten wiedergekommen. Zurück habe er das in Packpapier gewickelte Kreuz gebracht - und die Aktentasche, diese allerdings leer. Mit wem sich sein Kollege traf, will Römer nicht gesehen haben.

Das Reliquienkreuz wäre sonst unwiederbringlich verloren gewesen, heißt es nun

Verteidiger Stucke ließ Anrufe der SZ unbeantwortet. Bistumsanwalt Römer verwies Anfragen an die Versicherung. Dem Fernsehsender WDR hatte er zuvor noch seinen Umgang mit der Wahrheit erklärt: "Wir sind von der Versicherung angewiesen worden zu sagen, dass keine Gelder geflossen sind." So habe man Nachahmer fernhalten wollen. Es habe nicht der Eindruck entstehen sollen, dass Kriminelle Diebesgut aus Kirchen "nachher auch noch an die Kirche zurückverkaufen können", so Römer.

Ein Sprecher der Versicherung erklärte die Geldzahlung mit der Befürchtung, "dass das Kreuz ins Ausland gebracht wird und unwiederbringlich verloren ist". Für die Übergabe, so der Sprecher weiter, "gab es bestimmte Rahmenbedingungen zu erfüllen. So wollte der Überbringer des Kreuzes unerkannt bleiben." Nachdem aber die Echtheit und die Unversehrtheit des Kreuzes gesichert worden seien, "wurde Geld über den Rechtsanwalt an einen uns Unbekannten gezahlt". Das Bistum Münster wusste nach Angaben seines Sprechers "nichts" von der Geldübergabe: "Das wurde weder mit uns abgesprochen noch wurden wir informiert." Das Bistum "hat kein Geld gezahlt, hätte auch kein Geld gezahlt". Das sei die Entscheidung der Versicherung gewesen.

Dieser fehlen nun 100 000 Euro, ein geringer Verlust im Vergleich zu der Lücke, die ein Verschwinden des tausend Jahre alten Kreuzes wohl gerissen hätte. Wie hoch der aktuelle Versicherungswert des Reliquiars ist, wollte die Provinzial nicht sagen, für eine Ausstellung war das Kreuz aber einmal mit 7,75 Millionen Euro versichert. Wer den Inhalt des Geldkoffers jetzt hat, wird wohl die Richter beschäftigen. Der Prozess dauert an.

© SZ vom 27.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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