Justiz:Trauma nach dem Knall

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Ein Beamter des Landeskriminalamtes (LKA) untersucht am 12.04.2017, in der Nacht nach dem Vorfall, in Dortmund den Mannschaftsbus der Fußballmannschaft von Borussia Dortmund. (Foto: Marcel Kusch/dpa)

"Ich habe danach nur geweint": Wie ein Polizist, der Fahrer des Mannschaftsbusses und eine Anwohnerin im April 2017 den Anschlag auf den BVB-Bus erlebten.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Sergej W. ist kaum zu verstehen, als er leise "Entschuldigung" sagt. Nur drei Meter sitzen der 28-jährige Angeklagte und der bei der Bombenexplosion am Mannschaftsbus von Borussia Dortmund verletzte Motorrad-Polizist im Saal 130 des Dortmunder Landgerichts auseinander. Sergej W. bittet um Verzeihung und bietet dem seit drei Monaten dienstunfähigen 60-Jährigen "als Wiedergutmachung" 2000 Euro an. "Die Entschuldigung nehme ich an, den Ausgleich nicht", antwortet der Polizist emotionslos. Der Beamte strebt eine Zivilklage gegen W. an. Es heißt, er erhoffe sich dadurch eine vielleicht zehnmal so hohe Summe wie jene, die er am Mittwoch angeboten bekommen habe.

Der Polizist ist neben dem damaligen BVB-Fußballer Marc Bartra das zweite Opfer, das bei dem Anschlag auf dem Weg ins Stadion eine physische Verletzung erlitten hat. Nach der Bombenexplosion am 11. April 2017, bei der er als sogenannter Lotse auf seinem Motorrad nur ein paar Meter vor dem Bus fuhr, war er stehen geblieben und hatte versucht, über sein Funkgerät Hilfe zu rufen. Der Polizeifunk aber, so berichtet er, sei ausgelastet gewesen, und so habe er mit seinem Handy die 110 gewählt und per Notruf Hilfe angefordert. "Ich habe erst gedacht, es wurde geschossen." Mit seinem Dienst an diesem Tag hatte der Polizist schlichtweg Pech. Normalerweise begleitet er regelmäßig den Bus des jeweiligen BVB-Gegners - nur an jenem Abend eskortierte er ausnahmsweise den Dortmunder Bus.

Nach dem Attentat habe er Ohrenschmerzen gehabt, gibt er nun zu Protokoll. Später sei ein Knalltrauma diagnostiziert worden, er leide seither unter chronischem Tinnitus und habe sich zwischenzeitlich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Im November, sieben Monate nach dem Vorfall, habe er erstmals wieder einen Bus eskortiert, nämlich jenen des Teams von Tottenham Hotspur, das zum Champions-League-Spiel in Dortmund gastierte. An diesem Abend aber habe er gemerkt, "dass es nicht mehr geht". Seither sei er dienstunfähig.

Glimpflicher war die Explosion für den 47-jährigen Busfahrer ausgegangen, der vor Gericht fast launig schildert, was er nach dem Knall im ersten Moment gedacht habe: "Wo biste jetzt gegen gefahren?" Er habe sich dann um die Spieler gekümmert und ihnen Fahrzeuge organisiert. Er sei gut aus der Sache rausgekommen, erst viel später sei ihm aufgefallen, dass er in Stresssituationen im Bus einen schnelleren Pulsanstieg spüre und schweißnasse Hände bekomme. "Ich bin jedes Mal froh, wenn wir die ersten zehn Meter hinter uns haben." Wenn er mit der Mannschaft an Hecken oder Müllsäcken vorbeifahre, habe er noch immer ein komisches Gefühl. Eine Entschuldigung an den Busfahrer ließ Attentäter Sergej W. lediglich durch seinen Anwalt übermitteln, eine Entschädigung bot er nicht an.

Auch an einer Anwohnerin des Hotels ist der Splitterbomben-Anschlag keineswegs spurlos vorübergegangen. Gerade habe sie das Wohnzimmer verlassen, als Metallstifte ihre Fensterscheibe durchschlugen, erinnert sie sich vor Gericht. "Wenn ich im Wohnzimmer geblieben wäre, so hätte es mich sicherlich erwischt", sagt die 55-Jährige. "Ich habe danach nur geweint." Eigentlich habe sie an dem Abend bügeln wollen, berichtet die Frau mit zittriger Stimme. "Dann wäre ich dort gestanden, wo die Druckwelle die Fenster zerbrach." Allein aus Unlust habe sie das Bügeln hinausgeschoben - "zum Glück", wie sie aus heutiger Sicht weiß.

© SZ vom 01.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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