Justiz:Tier gewinnt

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Johnny Depp und Amber Heard standen wegen ihrer Hunde vor Gericht. Typisch Prominente? Von wegen. Ein Blick in tierische Prozessakten zwischen Hannover und Southport.

Von Michael Neudecker

Im Privatjet darfst du tun und lassen, was du willst, aber irgendwann muss der Privatjet landen, und dann ist es vorbei mit der hemmungslosen Freiheit. Immer wieder machen Millionäre und Prominente diese leidvolle Erfahrung. Zum Beispiel Amber Heard: Die Ehefrau des US-Schauspielers Johnny Depp hatte im vergangenen Jahr ihre Terrier Pistol und Boo im Privatjet mit nach Australien genommen, aber die Behörden dort regten sich fürchterlich auf, weil die Quarantänegesetze des Landes das Einführen solcher Tiere ohne Genehmigung verbieten. Sofort ausfliegen oder einschläfern, sagten die Behörden, Heard entschied sich für Ersteres, sie selbst aber entkam dem Gesetz nicht. Sie wurde angeklagt, und nun, am Montag, fand in Southport der Prozess statt.

Heard und Depp erschienen persönlich, natürlich ohne Tierbegleitung - und dieser Umstand verbunden mit einer Entschuldigung stimmte die Behörden dann doch milde. Der Anklagepunkt der illegalen Einfuhr wurde fallen gelassen, statt einer Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis blieben 1000 australische Dollar Geldstrafe (680 Euro) für Heard. Fall erledigt, alle glücklich, Heard, Depp, Justiz, Hunde und nicht zuletzt die zahlreich erschienenen Reporter und Paparazzi; so ein schönes Bohei, in Southport.

Prominente und ihre Tiere sind eine gern gesehene Kombination, sie liefern so viel Stoff, dass ganze Bücher darüber geschrieben wurden. Aber das soll nicht heißen, dass es den Reichen und Schönen und ihrem Getier vorbehalten ist, sich kurios zu benehmen. Im Gegenteil: Auch sogenannte Normalsterbliche geraten immer wieder wegen Tierzwischenfällen mit dem Gesetz in Konflikt, wie ein lohnender Blick in die jüngeren Prozessakten zeigt. Und manchmal sind es sogar die Tiere selbst, die dabei im Mittelpunkt stehen.

Hund im Wasser

Wer als Hundebesitzer mal eben die Wohnung verlassen muss, das Tier aber nicht frei in der Wohnung herumspringen lassen oder gar mitnehmen möchte, dem sei gesagt: Es in der Toilette einzusperren ist keine gute Idee. Genau das tat ein Mieter in Hannover, er brachte den Hund in das extra leergeräumte Gäste-WC der Wohnung und bat Nachbarn, ihn anzurufen, sollte es Probleme geben. Die Klopapierrolle entfernte das Herrchen nicht. Wenn man nun nicht Amber Heard oder Johnny Depp heißt, kann es gut sein, dass man kein allzu prunkvolles, ergo geräumiges Gäste-WC hat; dem Hund wurde also schnell langweilig. Feinmotorisch nicht unbegabt und nach Zeitvertreib suchend, rollte er das Papier ab, zerfetzte es und bugsierte es ins Waschbecken. Danach brachte er es fertig, den Wasserhahn aufzudrehen, das Papier verstopfte den Abfluss, das Wasser lief über, lief und lief, und als der Besitzer zurückkam, war schon in drei Nachbarwohnungen ein Wasserschaden entstanden. Die Wohngebäudeversicherung stellte Schadensersatzansprüche, doch der Hundehalter hatte Glück: Die Richter erkannten kein grob fahrlässiges Verhalten. Dass der Hund den Wasserhahn öffnen würde, habe niemand vorhersehen können.

Heros Hoden

Eine spannende Frage: Darf ein Hund, konkret: ein Boxer, mit nur einem Hoden zur Züchtung eingesetzt werden? Nein, sagt der Boxer-Hunde-Club München. Ja, sagt der Besitzer des Hundes mit dem blockbusterwürdigen Namen "Hero". Im April 2011 wurde im Club eine Körung durchgeführt, so wird das genannt, wenn die Tiere ausgewählt werden, die für die Zucht geeignet sind. Die Auswahl trifft ein Körmeister, und der befand in Heros Fall, dass ein Hoden nicht vollständig im Hodensack liege. Klarer Fall von Einhodigkeit, Zuchtuntauglichkeit, entsprechender Vermerk in der Ahnentafel. Heros Besitzer war anderer Meinung, es folgte eine Prozess, ein Gutachter wurde beauftragt, "der Heros Hoden noch einmal unter die Lupe nahm", wie der Münchner Merkur berichtete. Ergebnis: Es gab eine kurzzeitige Lageveränderung des Hodens bei der Körung, wahrscheinlich, weil das arme Tier verängstigt war, und im Februar 2015 schließlich entschied das Amtsgericht: Es liege "kein Hodenmangel" vor, der Eintrag musste korrigiert werden, und zwar umgehend.

Pferd beißt Polizeiauto

Dass Tiere als aggressive Täter auftreten können, hat man schon häufiger gehört; auch, dass es dem Menschen schwerfällt, damit umzugehen. Noch bis in die ersten Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden Tiere, die Dinge oder gar Menschen schädigten, wie Verbrecher verurteilt, Elefanten wurden gehängt, Schweine geköpft. Inzwischen hat der Mensch zumindest in dieser Hinsicht die Barbarei hinter sich gelassen, verhaltensauffällige Tiere werden zwar gelegentlich eingeschläfert, aber nicht mehr zwangsläufig. Der Gaul Richard jedenfalls, der 2012 zusammen mit einem anderen Pferd von seiner Weide floh, hat es überlebt, dass er sich heftigst der Staatsgewalt widersetzte: Als die Polizei Richard einfangen wollte, biss er in den Polizeiwagen, es heißt, er habe sich sogar kurz draufgesetzt, und einer der Polizisten sagte, er habe sich von Richard "fast angegriffen gefühlt". Die Beseitigung des Schadens kostete 4348,16 Euro, es folgte ein Prozess vor dem Amtsgericht Remscheid, weil die Versicherung nur 3000 Euro bezahlte, zumal sie vermutete, die Beamten hätten bei der Gelegenheit gleich ein paar andere Kratzer an der Tür mitreparieren lassen. Das Gericht entschied im Mai 2014: Die Vermutung ist unbegründet, die Versicherung muss alles bezahlen. Und auf Richard sollten die Besitzer künftig etwas besser aufpassen.

Lumpele vor Gericht

Pistol und Boo dürfen sich glücklich schätzen, in einer Zeit zu leben, in der das Haustiereswohl so wichtig ist, dass zum Beispiel Einrichtungen wie Hundefriseure lächerlich normal sind. In früheren Jahrhunderten hätte es passieren können, dass sie vor dem strengen australischen Gericht hätten erscheinen müssen - früher wurden Tiere ja nicht nur per Gerichtsbeschluss hingerichtet, sondern auch vorgeladen. Aus dem Mittelalter ist ein Prozess gegen Ratten überliefert, der deshalb ungünstig für die Ratten endete, weil die Tiere trotz Vorladung nicht erschienen und ihr Verteidiger keine Entschuldigung vorbringen konnte. Heute? Passiert das nicht mehr, klar. Was nicht heißen soll, dass Tiere überhaupt nicht mehr vor Gericht auftreten.

2014 bestellte eine Richterin am Amtsgericht Ansbach in Mittelfranken eine Katze ein, das Tier hieß "Lumpele". Es war ausgebüxt und einer Frau zugelaufen, die sich fortan als rechtmäßige Besitzerin des Tieres betrachtete und von der Eigentümerin verklagt wurde. Die Richterin ordnete an, Lumpele sei auf das Parkdeck das Gerichts zu bringen, und unter strenger Beobachtung solle die Katze dort losgelassen und geprüft werden, zu welcher der beiden Frauen sie hinlaufe. Lumpele aber flüchtete unter ein Auto und konnte erst nach länger Zeit hervorgelockt werden. Nächster Versuch: Klägerin und Beklagte sollten das Tier auf den Arm nehmen, um Verhaltensunterschiede festzustellen. Ergebnis: Bei beiden verhielt sich Lumpele gleich. Der Prozess endete damit, dass die ursprüngliche Eigentümerin mit Fotos nachwies, dass Lumpele ihre Katze war. Das Gericht verurteilte die Beklagte, die Katze wieder herauszurücken, denn es gehe in diesem Fall ja, wie so oft: um das Wohl des Tieres.

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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