Justiz in Österreich:"Kulturdelikt" statt Mord

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Im Urteil um eine getötete Ehefrau lässt die sonst strenge österreichische Justiz Milde walten. Begründung: Der Täter stammt aus der Türkei. Das Land reagiert empört über die positive Diskriminierung.

M. Frank

Österreichs Innenministerin Maria Fekter, die das Land gerne zur uneinnehmbaren Festung gegen alles Fremde ausbauen würde, ist nebenbei auch als Sprachbildnerin tätig. Sie hat den Begriff des "Kulturdelikts" erfunden, den sie künftig auf alle Verbrechen angewandt wissen will, deren Ursachen in der kulturellen Herkunft des Täters zu liegen scheinen.

Österreichs Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) will künftig Verbrechen, deren Ursachen mit der kulturellen Herkunft des Täters zu tun haben scheinen, als "Kulturdelikte" verstanden wissen. (Foto: Foto: Reuters)

In Wien hat nun ein Schöffengericht einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, weil es sich diese Ansicht offenbar zu eigen gemacht hat. Der Fall, der die Österreicher in diesen Tagen beschäftigt, ist von den Fakten her klar: Die Beziehung eines lang verheirateten Ehepaares gerät in die Krise, die Frau will sich scheiden lassen. Dieser zückt das Messer, er sticht seiner Frau mehr als ein Dutzend Mal in Kopf, Hals und Brust. Dann drischt er mit einem 50 Zentimeter langen Stahlrohr auf seine wehrlose, schwerverletzte Frau ein, bis ein Dritter dazwischengehen kann. Sie überlebt nur knapp.

"Allgemein begreifliche Gemütsbewegung"

Der Mann ist nun verurteilt worden, aber zum Erstaunen des Publikums nicht wegen versuchten Mordes, sondern wegen versuchten Totschlags. Die Strafe fiel entsprechend milde aus: sechs Jahre Haft. Das Gericht begründete das Urteil damit, dass der Mann ursprünglich aus der Türkei stammt.

Zwar lebt der 46-jährige Täter seit 1980 in Österreich und ist Staatsbürger des Landes. Aber schon der Staatsanwalt sah als Ursache der beinahe tödlichen Attacke eine "allgemein begreifliche, heftige Gemütsbewegung", verstärkt dadurch, dass es sich beim Täter um einen Türken, einen Südländer handele.

"Gerade Ausländer oder Personen mit Migrationshintergrund befinden sich häufig in besonders schwierigen Lebenssituationen, die sich, auch begünstigt durch die Art ihrer Herkunft, in einem Affekt entladen können", führte die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift aus.

Der Schöffensenat ergänzte im Urteil: Es liege "ein affektbedingter Tötungsvorsatz", aber kein versuchter Mord vor. Unberücksichtigt bleibt offenbar, dass es schon vorher heftige Auseinandersetzungen um die von der Frau angestrebte Trennung gegeben hatte, wobei der Mann oftmals gewalttätig geworden sein soll.

So sensibel die Einlassung von Staatsanwaltschaft und Richtern zunächst wirken mag, so merkwürdig ist der Spruch, wenn man die österreichische Rechtspraxis insgesamt betrachtet. Gewöhnlich interessieren sich die Gerichte weniger für Motive und Gemütslagen; sie befinden sehr viel rascher auf Mord, als es in Deutschland üblich ist.

So sind zuletzt pro Jahr etwa 50 Urteile wegen Mordes, jeweils aber nur fünf wegen Totschlags ergangen. Auf diesen Hintergrund hat sogar Amnesty International hingewiesen. Frauen- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren zudem das alttestamentarische Denken, das in der Urteilsbegründung zum Ausdruck komme. Die SPÖ-Frauensprecherin Gisela Wurm sagt: "Es ist unerträglich, wie die österreichische Justiz schrecklichste Gewalttaten von Männern an Frauen, die sich von ihnen trennen wollen, verharmlost und die Opfer mit ihren Urteilen verhöhnt."

"Kulturbedingte Affekthandlung"

Auch Alev Korun und Judith Schwentner, die Menschenrechts- und die Frauensprecherin der Grünen, sind empört. Eine derartige Tat "im Hinblick auf die ethnische Herkunft des Gewalttäters als ,kulturbedingte Affekthandlung' zu beurteilen", führe auf schreckliche Abwege.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft würzte den Disput noch mit der Bemerkung, auch die "Gemütsbewegung eines Tiroler Bauern und eines oberösterreichischen Stahlarbeiters" könne letztlich sehr unterschiedlich gewürdigt werden. Die Anklage geht in die nächste Instanz - wegen des Strafmaßes, das bis zu zehn Jahren hätte reichen können. Auf Mordversuch steht lebenslange Haft als Höchstmaß.

© SZ vom 20.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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