Justiz:Hodenlose Frechheit

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In Südamerika eine Delikatesse, in Deutschland ein beliebter Hausgast: ein (kastriertes?) Meerschweinchen in nagefreundlicher Umgebung. (Foto: dpa)

Nach dem Tod eines Meerschweinchens haben die Besitzer Schadenersatz von der behandelnden Tierärztin verlangt. Zu Unrecht, wie das Amtsgericht Hannover nun entschied. Es gibt nur Geld für den Transportbehälter.

Von Martin Zips

An dieser Stelle mal ein Loblied auf alle Tierärzte, die Meister des kraftvollen Zupackens, der ausgefeilten Psychologie, der exakten Dosierung und der chirurgischen Feinmechanik. Es sind wahre Helden. Kein Vergleich zu anderen Berufsgruppen. Weltweit kümmern sich Veterinäre vorbildlich um das, was dem Menschen - außer sich selbst - vor allem am Herzen liegt: Shetland-Ponys. Doggen. Meerschweinchen wie Jack und Socke.

Bei Jack und Socke war das so: Die Beiden wurden von ihren Besitzern im Mai 2013 zur Kastration gebracht. Zu einer norddeutschen Veterinärin. Das mit der Kastration könnte damit zusammenhängen, dass die beiden Böcke ihren Stall mit Weibchen teilten, die Besitzer also fürchten mussten, ihre Hauspopulation könne ohne Präventivmaßnahme außer Kontrolle geraten. Es kann auch sein, dass Jack und Socke sich in ihrer Schweinchen-WG ähnlich unausstehlich verhielten, wie es erwachsene Männer beim Schafkopfen tun, im Straßenverkehr oder bei dienstlichen Besprechungen. So gesehen könnte es sich bei der anvisierten Kastration durchaus um eine friedensstiftende Maßnahme gehandelt haben.

Allerdings muss irgendetwas schiefgelaufen sein, denn beim späteren Kontrolltermin entdeckte die Tierärztin bei Jack und Socke dort, wo einst die Hoden hingen, ein Meer aus Eiter. Rasch wurde abermals das Skalpell angesetzt - Socke starb nur wenige Tage nach dem Eingriff. Jack landete als Notfall in der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Glücklicherweise überlebte er. So eine Behandlung kann teuer werden. Nicht nur für Jack und Socke. Vor dem Amtsgericht Hannover verlangten die Besitzer der Meerschweinchen nun Schadenersatz von der Tierärztin: Wegen nicht einkalkulierter Folgekosten, einem eigens eingereichten Urlaubstag, der Beschaffung eines frischen Partnertieres für Jack (24 Euro) sowie des in der Praxis beschädigten Transportkorbes (20 Euro).

Die klagende Meerschweinchen-Seite (eine 35 Jahre alte Besitzerin und ihr 34 Jahre alter Partner) schoben der Veterinärin sodann alle Schuld für die tödlichen Komplikationen in die OP-Schuhe. Die Tiermedizinerin wiederum erklärte, in ihrem beruflichen Leben schon zahlreiche Meerschweinchen gerettet und (wie bei Jack und Socke) sogar postoperativ mit Wärmebett und Wunddrainagen versorgt zu haben. Ihrer Meinung nach hätte allein die Hygiene im Hamsterhaushalt zu wünschen übrig gelassen, sagte sie: "Die Tiere waren hochgradig verwahrlost." Am Ende wurde die Tiermedizinerin dann lediglich zur Erstattung des beschädigten Transportbehälters verurteilt. Die geforderten 877 Euro Schadenersatz müssen von ihr nicht beglichen werden.

Obwohl Tiere dem Menschen oft mehr am Herzen liegen als Transportboxen: Juristisch sind und bleiben beide Sachen. Schmerzensgeld, wie es einmal eine Hundebesitzerin von einem Tiersalon (wegen Freiheitsberaubung in der Badewanne) einforderte, scheidet vor Gericht meist ganz aus. Für die Bemessung des Schadenersatzes wiederum ist neben (nachweisbarer) Fehler auch der Wert eines Tieres ausschlaggebend. Für 24-Euro-Meerschweinchen mag das eine schlechte Nachricht sein. Die gute: Wenigstens ihr Käfig bleibt vorerst ein Bereich, an dessen Gittern sich selbst die eifrigsten Juristen ihre Zähne ausbeißen.

© SZ vom 25.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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