Jens Söring:"Ich habe die Hoffnung verloren, hier jemals lebend rauszukommen"

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Jens Söring, deutscher Staatsangehöriger, sitzt in den USA im Brunswick Correctional Center wegen zweifachen Mordes. (Foto: Karin Steinberger)

Jens Söring sitzt seit fast 30 Jahren in den USA im Gefängnis. Er soll die Eltern seiner Freundin ermordet haben. Er sagt, er sei unschuldig. Und er schreibt verzweifelte Briefe.

Von Karin Steinberger

Wir kennen uns schon lange. Seit 2006. Da fing er an, mir zu schreiben, in einem wilden, kurios gespreizten Deutsch. Er entschuldigte sich, er sei zwar Deutscher, dürfe aber seit 1996 keine deutschen Zeitungen mehr lesen. Die Gefängnisleitung habe Angst vor allem, was sie nicht verstehen könne. Da saß er seit 20 Jahren im Gefängnis, erst in England, seit 1990 in den USA. Er schrieb über seine "elende Geschichte". Er platzte vor Wut.

Jens Söring: Im Archiv war nichts über ihn zu finden. Ein Deutscher, den die Deutschen nicht kannten. Am 8. August 2006 saß ich ihm im Besucherraum des Brunswick Correctional Center, Virginia, gegenüber, ein blasser Mann, fast zerbrechlich. Der erste Gedanke: Wie hat der hier überlebt? Er hatte drei Bücher im Arm, von ihm geschrieben. Er glühte vor Stolz.

Mehr als die Hälfte seines Lebens saß er da schon im Gefängnis, Jens Söring, geboren 1966 als ältester Sohn eines deutschen Diplomaten in Thailand, Hochbegabten-Stipendium an der University of Virginia, verurteilt zu zweimal lebenslang wegen Mordes an Nancy und Derek Haysom. Zwei Stunden Besuchszeit, es war nicht viel für dieses grandios verpfuschte Leben. Ich bin unschuldig, sagte er schon damals.

"Er bettelte um Aufmerksamkeit, sprühte vor Zorn, verbot Besuche"

Danach fing er an, mir zu schreiben, wie ein Getriebener, seine Briefe landeten in großer Verlässlichkeit auf meinem Schreibtisch. Immer mit Gefängnis-Stempel: Dieser Brief wurde weder zensiert noch untersucht.

In diesen elf Jahren hat Jens Söring sich x-mal gehäutet, um sich selbst gedreht. Alles, was er tat und dachte, spiegelte sich in seinen Briefen. Er bettelte um Aufmerksamkeit, sprühte vor Zorn, verbot Besuche, nahm alles wieder zurück. Er fand Gott, verlor ihn, er hasste sich selbst, dann das amerikanische Justizsystem, dann die feige deutsche Regierung. Es gab Zeiten, in denen er nicht mehr Radio hörte, die Geräusche des Lebens da draußen taten ihm weh, dann fing er an, sich Filme anzusehen, selbstquälerisch, über Justizirrtümer, er hörte Musik, von damals, als er die schöne, verkorkste Elizabeth Haysom kennenlernte, seine einzige, tödliche Liebe.

Ihre Eltern wurden am 30. März 1985 brutal ermordet, für diesen Mord büßt er. Er hat sich gehäutet, um sich selbst gedreht, aber in all den Jahren hat er eines immer wieder gesagt, geschworen und geschrieben: Ich bin unschuldig. Er sagt, er habe die Tat gestanden, weil er Elizabeth vor dem elektrischen Stuhl retten wollte, er rechnete mit Jugendhaft in Deutschland. Er glaubte, er sei unfehlbar. Der Prozess in den USA war ein TV-Spektakel. Jens Söring schreibt: Ist meine Schuld erwiesen, ohne jeden Zweifel?

"Gefühle sind gefährlich im Gefängnis, Hoffnung sowieso"

Fünfmal habe ich ihn in all den Jahren besucht, immer wieder habe ich über ihn geschrieben, seit drei Jahren drehe ich an einer Dokumentation über ihn. Äußerlich blieb er auf kuriose Art gleich, fast alterslos, als könnten ihm die verlorenen Jahre nichts anhaben. Es ist sein Knastgesicht: Gefühle sind gefährlich im Gefängnis, Hoffnung sowieso.

Und doch hofft er immer wieder: als ein Zeuge auftaucht, als der DNA-Test keinen Treffer ergibt, als Tim Kaine, der demokratische Gouverneur von Virginia, am 12. Januar 2010 der Haftüberstellung nach Deutschland zustimmt. Damals wagte Jens Söring kurz, sich die Freiheit vorzustellen, sich auf sie vorzubereiten. Wie geht das, Wohnung mieten, Steuern zahlen? Am 19. Januar war es wieder vorbei. Der neue, republikanische Gouverneur von Virginia hob den Gnadenakt des Vorgängers auf. Und Söring? Macht weiter. Briefe, Besuche, Gittertüren, die scheppernd zufallen.

Er schaut nie zurück, wenn ein Besuch geht. Und schreibt am selben Tag: "Wenn ich Briefe schreibe, bin ich nicht im Knast - ich bin bei Menschen."

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Der Deutsche Jens Söring sitzt wegen Mordes seit fast 30 Jahren im Gefängnis. Er sagt: Ich war es nicht. Aus seiner Zelle in den USA schreibt er Briefe. Er verzweifelt - auch an seiner Heimat.

Von Karin Steinberger

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