Italien:Verlorene Tochter

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Behörden nehmen italienischen Eltern ihr Kind. Zu Unrecht, wie ein Urteil nach sieben Jahren voll von Bürokratie und Prozessen zeigt. Für die Familie allerdings kommt es viel zu spät.

Von Oliver Meiler, Rom

Wie man diese Geschichte aus Mirabello Monferrato im Piemont auch dreht, sie bleibt traurig und skandalös, ungefähr zu gleichen Teilen. Es ist die Geschichte von Viola, einem heute siebenjährigen Mädchen, das eigentlich anders heißt und von dem niemand weiß, wie es heute aussieht. Auch seine Eltern nicht. Die haben Viola seit Jahren nicht mehr gesehen. Das Foto der Eltern, von Luigi Deambrosis und Gabriella Carsano, prangt hingegen in allen italienischen Zeitungen. Dem Corriere della Sera sagten sie: "Man verhindert, dass wir unserer Tochter unsere Liebe geben."

Gemeint ist die italienische Justiz, die ihnen das Kind wegnehmen ließ. Nun urteilte ein Gericht in Turin, die Eltern hätten ihre Tochter zu Unrecht weggeben müssen, damals, vor fast sieben Jahren. Doch zurück bekommen sie ihr Kind trotzdem nicht, dafür sei es nun zu spät.

Dabei war Viola ein lang ersehntes Kind. Das Paar hatte alles versucht, hatte Ärzte und Kliniken aufgesucht. Eine Adoption kam nicht infrage, weil beide Eltern dafür zu alt waren. Viola kam dann im Jahr 2010 dank künstlicher Befruchtung zur Welt. Die Mutter war inzwischen 56, der Vater 68 Jahre alt. Im Dorf gab das natürlich zu reden. Man nannte sie "Genitori nonni", großelterliche Eltern.

Dann kam es zu einem Vorfall, der das Schicksal der damals noch ganz kleinen Tochter und der Eltern entscheidend verändern sollte. Nach einem Einkauf im Supermarkt ließ der Vater Viola nach eigenen Angaben einige Minuten im Wagen sitzen, den er im Innenhof seines Hauses geparkt hatte. Er brachte die Tüten hoch, wärmte Violas Milchflasche. Dem Gericht wird er später sagen, er sei "nur sieben, acht Minuten" weggewesen und habe die Situation immer unter Kontrolle gehabt. Nachbarn behaupteten, es seien eher "40 bis 45 Minuten" gewesen, das Mädchen habe geweint. Sie zeigten das Paar an - wegen Vernachlässigung eines Neugeborenen.

Die Sozialbehörde brachte Viola in ein Heim und gab sie zur Adoption frei. Es begann ein jahrelanger, kafkaesker Kampf des Paars mit der italienischen Bürokratie und Justiz. Bald wurde klar, dass der Vorwurf gegen den Vater unhaltbar war. Im vergangenen Sommer bestätigte Italiens höchstes Gericht, der Kassationshof, dass sich Luigi Deambrosis und Gabriella Carsano nichts hatten zuschulden kommen lassen. Sie seien nicht "im besonderen Maß unwürdig", Eltern zu sein, wie man ihnen vorgeworfen hatte. Auch ihr Alter könne kein Argument gegen die Eltern sein, das Gesetz sehe keine Altersgrenzen vor. Vielmehr sei es dem Staat anzulasten, wenn zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern keine Bindung wachsen konnte, da die Behörden so lange gebraucht hatten für die Entscheidung in der Angelegenheit.

Und so hoffte das Paar, dass nun auch der Entscheid von 2010, Viola zur Adoption freizugeben, annulliert würde. Doch das Berufungsgericht kam zu dem Schluss, es sei für das Kindes besser, wenn es weiterhin bei seinen Adoptiveltern lebe. Zu viel Zeit sei vergangen. Sieben Jahre lang haben sich Gerichte und Ämter mit Violas Fall befasst. So lange, bis ihre leiblichen Eltern ihr zu fremd geworden sein sollen. Die wollen weiterkämpfen und noch die letzte Berufungsinstanz anrufen. Der Vater ist jetzt 75, die Mutter 63.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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