Hochwasser und Streik in Venedig:Wasser von allen Seiten

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Regen und Flut, dazu noch Streik in Venedig: Die vierthöchste Flut seit hundert Jahren legt die Lagunenstadt lahm.

Henning Klüver

Nur auf den Brücken blieb man trocken - wenn man einen Regenschirm hatte. So etwas hatte Venedig jahrzehntelang nicht erlebt. Am Montag Vormittag stieg das Hochwasser, von immer wilderen Schirokko-Böen in die Lagune getrieben, auf bis zu 156 Zentimeter Höhe über Normal, die vierthöchste Flut seit mehr als hundert Jahren. Die Höchstmarke lag 1966 bei fast zwei Metern.

In Zeiten wie diesen hat selbst Venedig zu wenig Gondeln. (Foto: Foto: dpa)

Die Flut drang am Montag in Geschäfte und Wohnungen ein, bedeckte die Mosaiken einiger Kirchen und bedrohte die Bestände der Biblioteca Marciana. Das Wasser kam von allen Seiten, fiel vom Himmel, spritzte aus der Lagune und drang aus den Gullys hervor.

Die durch den Schirokko besonders stark gestiegene Flut machte auch die 40 Zentimeter hohen Planken sinnlos, auf denen die Menschen bei gewöhnlichem Hochwasser laufen.

Bürgermeister Massimo Cacciari forderte alle Bewohner auf, nur im Notfall ihre Häuser zu verlassen. Zu allem Überfluss hatte auch noch eine Gewerkschaft zum Streik der Vaporetti aufgerufen und so den öffentlichen Verkehr so gut wie lahm gelegt.

Selbst Gummistiefel reichten bei dieser Fluthöhe am Montag nicht aus. Die Menschen halfen sich so gut sie konnten, zogen sich Plastiktüten über Schuhe und Beine und befestigten sie mit Klebeband an den Hosen. Touristen balancierten ihre Koffer über den Köpfen. An ihnen vorbei schwammen Müllsäcke, Plastikflaschen und Unrat aller Art.

Als das Wasser dann am Montag Nachmittag abzog, blieb Venedig unter einer brauen Schmutzschicht zurück. Am Dienstag stieg die Flut auf 102 Zentimeter. Der größte Teil der Stadt blieb trocken, tief gelegene Gebiete wie der Markusplatz wurden erneut überschwemmt.

Die Stadtverwaltung, die nach den Vorhersagen des venezianischen Hochwasserinstitutes zunächst von einer geringeren Fluthöhe ausgegangen war, musste sich wegen ihrer Informationspolitik heftige Kritik von den rechten Oppositionsparteien gefallen lassen.

Auch wurden Stimmen laut, die einen zügigen Ausbau des Schleusensystems "Mose" fordern, das die Stadt vor Hochwasser schützen könnte. Das vier Milliarden Euro teure Projekt, bislang zur Hälfte fertig gestellt, ist aber als Mittel zur Flutregulierung und auch wegen der Folgekosten bei Fachleuten wie Politikern umstritten.

Während Geschäfte, Galerien und Hotels ihre Schäden bilanzieren, bleibt ein alter Adeliger wie der Conte Girolamo Marcello selbst bei Rekordhochwasser gelassen. Er hat für solche Fälle eine ganze Kollektion von Gummistiefeln im Haus. Vorgestern zog der Conte seine Fischerstiefel an, die bis zu den Oberschenkeln reichen. Arrigo Cipriani, Inhaber von Harry's Bar, hatte seinen Laden am Montag um 15 Uhr wieder eröffnet. "Gut geheizt mit lächelnden Kellnern", sagte er dem Corriere della Sera. Ob auch Gäste kamen, verriet er nicht.

© SZ vom 03.12.2008/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Rekordhochwasser in Venedig
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