Papst Johannes XXIII.:Heiliger Vater der Herzen

Papst Johannes XXIII.: Pilger stehen vor dem Petersdom mit einer Fahne, auf der die Konterfeis von Johannes Paul II. (links) und Johannes XXIII. gedruckt sind.

Pilger stehen vor dem Petersdom mit einer Fahne, auf der die Konterfeis von Johannes Paul II. (links) und Johannes XXIII. gedruckt sind.

(Foto: AFP)

Zwei Päpste werden diesen Sonntag heiliggesprochen - ein Großereignis für die katholische Kirche. Der aktuelle Pontifex Franziskus erhebt zur "Ehre der Altäre" neben Johannes Paul II. auch Johannes XXIII. Der leutselige Italiener führte die Kirche nur wenige Jahre, aber berief das Zweite Vatikanische Konzil ein - und wurde damit zu einem großen Kirchenreformer.

Von Heribert Prantl

Die kleine Geschichte ist nicht verbürgt. Aber sie ist so herrlich bezeichnend, dass sie auch dann stimmt, wenn sie nur erfunden ist. Da kommt also ein junger Bischof nervös zum alten Papst Johannes XXIII. und berichtet ihm von der Bürde seiner Würde; er finde, klagt der Junge, vor lauter Verantwortung keinen Schlaf mehr.

Da lächelt der Alte und sagt, dass es ihm nach seiner Wahl zum Papst auch so ergangen sei, er habe kein Auge mehr zu getan. Einmal sei er dann kurz eingenickt, und da sei ihm im Traum ein Engel erschienen, dem er seine Not berichten konnte. Der Engel habe gesagt: "Giovanni, nimm dich nicht so wichtig." Seitdem, so Papst Johannes XXIII., "kann ich wunderbar schlafen".

Dieser grundgütige Papst Giovanni, der sich nicht so wichtig genommen hat, war für die katholische Kirche ungeheuer wichtig. Die Fenster zur Welt waren zugenagelt unter seinem weltfernen Vorgänger, dem asketisch-aristokratischen, unnahbaren Pius XII.: Der neue Papst, zuvor Patriarch von Venedig, war ganz anders, schon seiner äußeren Erscheinung nach.

Er war klein, rund und dick und von entwaffnender Herzlichkeit. Er war einer, der das römische Volk, die kleinen Ausflüge und die Improvisation liebte, der Krankenhäuser besuchte und Gefängnisse. "Johnnie Walker" nannten ihn die Amerikaner, was in den Ohren der Vatikanisti respektlos klang, aber liebevoll-zärtlich gemeint war.

Und er riss die Fenster des Vatikans weit auf zur Welt und ihren Problemen: Neunzig Tage nach seiner Wahl 1958, da war Johannes XXIII. schon 77 Jahre alt, hat er seinen Entschluss kundgetan, eine große Weltversammlung der Kirche einzuberufen - das Zweite Vatikanische Konzil.

Es begann just dann, als die Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion in der Kuba-Krise eskalierten, als die Welt vor einem nuklearen Krieg stand. Der Papst, ein gewiefter Kirchendiplomat, hatte seinen Anteil an der Beilegung der Krise. Er verkündete seine Enzyklika "Pacem in terris /Friede auf Erden" - mit einem großen Passus über die Koexistenz von Ost und West.

Seine Eltern waren Bauern, Geschwister hatte er zwölf

Er, das Kind kleiner Leute, kannte diese Welt. Angelo Giuseppe Roncalli war als drittes von 13 Kindern in einem Dorf des Bistums Bergamo im italienischen Voralpenland aufgewachsen, als Bub einer glaubensstarken Kleinbauernfamilie, deren Tag mit der Frühmesse begann und dem gemeinsam gebeteten Rosenkranz endete. Angelo Giuseppe war einer von den blitzgescheiten Buben, deren Begabung, wie dies in der alten katholischen Welt so oft geschah, der Ortsgeistliche entdeckte und sie zum Studieren schickte. Solche Leute wurden dann Dorfpfarrer, große Theologen oder weltgewandte Diplomaten.

Angelo Giuseppe wurde Privatsekretär des Bischofs, Professor, Diplomat, apostolischer Visitator für Bulgarien. Als Delegat für Griechenland und die Türkei verbrachte er dann zwei Jahrzehnte in Istanbul und Athen; und schließlich wurde er, am Ende des Zweiten Weltkriegs, als Apostolischer Nuntius nach Paris entsandt. Er wirkte dort so redlich und klug, dass ihm, als er zum Kardinal ernannt wurde, in Wiederaufnahme eines alten Brauches, ausgerechnet ein sozialistischer französischer Präsident, Vincent Auriol, das Kardinalsbirett überreichte.

FILE PICTURE OF POPE JOHN XXIII

Johannes XXIII. während seiner Krönung im Jahre 1958. Inzwischen ist die Zeremonie abgeschafft.

(Foto: REUTERS)

Konrad Adenauer, der deutsche Nachkriegskanzler, der noch älter war als der Papst, hat es nicht gern gesehen, dass Johannes XXIII. mit dem sowjetischen Regierungschef Chruschtschow ganz undoktrinär Botschaften austauschte, dass er dessen Tochter und Schwiegersohn zur Audienz im Vatikan empfing: "Politisch dumm" sei das, klagte Adenauer. Aber der Papst meinte bei solchen, immer wiederkehrenden Vorwürfen nur: "Ich werde meinen Stil nicht wegen ungehöriger Aufregung ändern." Sein Segen gelte "allen Völkern".

Und so sagte er am Schluss der von den Kommunistenfressern heftig angefeindeten Privataudienz: "Und jetzt ist ja wohl ein kleiner Segen fällig." Chruschtschows Tochter, so schildert das der Kirchenhistoriker Georg Schwaiger, beugte das Knie, Tränen in den Augen. Der Schwiegersohn verneigte sich tief. Gefragt, ob auch Chruschtschow selbst den Papst besuchen würde, antwortete er: "Auf alle Fälle wissen wir, dass der Papst nicht beißt."

Das Ende seines Konzils hat Johannes XXIII. nicht mehr erlebt, er starb am Pfingstmontag 1963. Nur vier Jahre, sieben Monate und sieben Tage hatte sein Pontifikat gedauert - und trotzdem war es eine neue Epoche für die katholische Kirche.

Genau genommen dauert sein Konzil, das formell am 8. Dezember 1965 zu Ende ging, noch immer an - viele Probleme, die es anpacken wollte, sind noch immer nicht gelöst. Und die Ideen von einer sozialen, brüderlichen, ökumenischen und friedensstiftenden Kirche, einer Kirche, die nicht auf dem hohen Ross daherkommt, sie werden heute von Papst Franziskus fortgeführt. Franziskus ist nicht nur ein Bruder im Amt, sondern auch im Geist von Johannes XXIII.

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