Großbritannien:"... mit eigner Hand"

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Ein Häftling entlässt sich selbst. Mit einer gefälschten Mail. Eine kleine Geschichte des gefälschten Briefes - von Bettina von Arnim bis heute.

Von hermann unterstöger

Auf der Wiese der Urkundendelikte wachsen viele Blumen: die Urkundenfälschung, die Falschbeurkundung im Amt, die Urkundenunterdrückung, und so fort. Üblicherweise ziehen sie eine Geldstrafe nach sich oder bringen den, der sich ihrer schuldig gemacht hat, ins Gefängnis. Das Gegenteil geschah im März 2014 in Großbritannien. Von einer E-Mail-Adresse aus, die der seines Knasts sehr ähnlich sah, hatte ein Häftling gefälschte Entlassungspapiere an seine Londoner Aufseher geschickt und war prompt auf freien Fuß gesetzt worden. Zwar stellte der Mann sich nach drei Tagen, aber die Sache wird nun nichtsdestoweniger gerichtlich verhandelt; an diesem Montag soll das Urteil ergehen.

Dass der Richter den Streich "genial kriminell" nannte, ist charakteristisch für die Sympathie, die dieser Sorte Delikte entgegengebracht wird, eine augenzwinkernde Anerkennung, die weniger den Straftaten als solchen gilt als vielmehr der darauf verwendeten Kunstfertigkeit. "Muss man erst mal können", sagen die Leute und fügen gern hinzu, dass die Corpora delicti "fachlich" nicht zu beanstanden seien. Das ist richtig und insofern eine Binsenweisheit, als ein Brieffälscher, der aus Versehen mit eigenem Namen signiert, seine Karriere beendet, ehe er sie richtig beginnt.

Wie in all ihren Sparten, so hat die Kriminalgeschichte auch im Fach der Brieffälschung Höchstleistungen und imposante Tätergestalten anzubieten. Eine der beeindruckendsten ist jener Fälscher, der 1165 den Brief des "Priesterkönigs Johannes" in Umlauf brachte und damit das christliche Abendland verwirrte. Was dieser König nicht alles mitzuteilen hatte! Dass ihm 72 Herrscher tributpflichtig seien; dass es in seinem unermesslichen Reich außer den normalen Tieren auch Kentauren, Kyklopen, Hundsköpfige und den Vogel Phönix gebe; dass weder Ehebruch noch sonstige Laster vorkämen; dass ferner, wenn er in den Krieg ziehe, keine Banner vorangetragen würden, sondern große Kreuze aus Gold und Edelsteinen. Papst Alexander III. sah sich veranlasst, Johannes einen notabene echten Brief zu schreiben, der aber mangels einer zustellfähigen Adresse nie beim Priesterkönig ankam.

Während dieser Fälscher wohl auf ewig unbekannt bleibt, weiß man den Namen eines anderen. Er kommt bei Flavius Josephus vor, hieß Diophantus und war Sekretär König Herodes' des Großen. Im Inhaltsverzeichnis einer alten Übersetzung heißt es von ihm, grausig genug: "Brieffälscher, erwürget." Er war äußerst geschickt in der Nachahmung fremder Handschriften und spielte bei den Auseinandersetzungen, die Herodes mit seinen Söhnen hatte, die Rolle dessen, der belastendes Material heranbringt. Freilich zahlte sich die Sache für ihn nicht aus. "Nachdem er", schreibt Josephus, "eine Menge derartiger Fälschungen begangen hatte, ward er endlich wegen einer gleichen Freveltat hingerichtet."

Wenn von gefälschten Briefen die Rede ist, mischen sich natürlich sofort die Freunde des tragischen Theaters ein und zeigen auf Edmund, Graf Glosters außerehelich gezeugten und über die Maßen schurkischen Sohn. Dieser bringt mithilfe gefälschter Briefe seinen Vater dazu zu glauben, dass ihm sein ehelicher Sohn Edgar nach dem Leben trachte, und wie fürchterlich das alles endet, weiß jeder, der Shakespeares "König Lear" je gesehen hat. Friedrich Schiller hat sich, um das Unheil ins Rollen zu bringen, in seinen "Räubern" eines ähnlichen Bühnenkunstgriffs bedient. Bei ihm unterschlägt Franz Moor, völlig zu Recht "die Kanaille" genannt, den um Vergebung bittenden Brief seines Bruders Karl und jubelt dem armen Vater stattdessen eine Fälschung unter, die Karl Moor im übelsten Licht dastehen lässt.

Alexander der Große schreibt seinem Lehrer Aristoteles. Auf Französisch. Kann das sein?

Dass hinter gefälschten Briefen auch edlere Motive stecken können, beweist der Fall Bettina von Arnims, die ihren Herzenswunsch, als Gefährtin und Vertraute bedeutender Männer in Erinnerung zu bleiben, auch auf diese Weise zu verwirklichen suchte. Beethoven etwa legte sie folgende Worte in den Mund respektive in die Feder: "Ich schick hier mit eigner Hand geschrieben: ,Kennst du das Land' als eine Erinnerung an die Stunde, wo ich Sie kennen lernte. Ich schicke auch das andere, was ich componiert habe, seit ich Abschied von Dir genommen habe, liebes, liebstes Herz!"

Der Größte aller Brieffälscher war ohne Zweifel Denis Vrain-Lucas (1818 - 1881). Er verfasste an die 27 000 Stück, darunter Briefe von Caesar und Lazarus. Der Brief, den Blaise Pascal an Isaac Newton geschrieben haben sollte, führte zu hitzigen Debatten in der Pariser Akademie der Wissenschaften, weil diesem Schrieb zufolge Pascal das Gesetz der Schwerkraft entdeckt hätte. Ein Biograf Newtons wies auf den Umstand hin, dass Newton zu der Zeit, als er den Brief angeblich bekommen hatte, erst elf Jahre alt gewesen sei und schon deswegen keinen Briefpartner Pascals hätte abgeben können.

Vrain-Lucas hatte, was die Angelegenheit ins völlig Aberwitzige treibt, all seine Fälschungen auf Französisch abgefasst, also auch jenen Brief, in dem Alexander der Große seinem Lehrer, dem Philosophen Aristoteles, den Rat gibt, das Brauchtum Galliens zu studieren. 1869 landete der Scharlatan vor Gericht. Dort kam es zu heiteren Szenen, als der Richter einige der Arbeiten verlesen ließ, so zum Beispiel den Brief des Pontius Pilatus an Kaiser Tiberius, worin Pilatus sein Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, dass er Jesus Christus habe hinrichten lassen.

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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