Gewalt gegen Männer:Die Mär vom großen starken Geschlecht

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  • Es gibt nur noch wenige Tabuthemen in unserer Gesellschaft, häusliche Gewalt gegen Männer gehört zweifellos dazu.
  • In Stuttgart gibt es nun das Pilotprojekt "Gewaltschutz für Männer" - als dringendes Hilfsangebot für Betroffene.
  • In etwa zehn Prozent der Fälle geht häusliche Gewalt von Frauen aus und richtet sich gegen Männer, berichten Stadt, Polizei und Beratungsstellen.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Tatort ist meist die Küche, Tatwaffe ein Messer. Auch wenn man Klischees um jeden Preis vermeiden will: So ist das nun mal nach Aussage von Experten, wenn Frauen Gewalt gegen Männer ausüben, oder ihnen Gewalt zumindest androhen. Klischees sind ständig im Spiel bei diesem heiklen Thema, vor allem natürlich dieses: "Echte Männer" können gar nicht Opfer von Frauengewalt werden, weil echte Männer sich zu wehren wissen.

So sehen das auch die betroffenen Männer selbst. Sie schämen sich und schweigen. Und wenn sie sich doch der Polizei anvertrauen, bekommen sie oft zu hören, das Problem sollten sie doch bitte selbst in den Griff bekommen - so groß und stark, wie sie seien.

Es gibt nur noch wenige Tabuthemen in unserer Gesellschaft, die häusliche Gewalt gegen Männer gehört zweifellos dazu. Deshalb konnte sich die Stadt Stuttgart höchster Aufmerksamkeit sicher sein, als sie am Donnerstag erste Erkenntnisse ihres Pilotprojekts "Gewaltschutz für Männer" vorstellte. Sie wolle keinesfalls Gewalt gegen Frauen kleinreden, sagte Ursula Matschke, die Gleichstellungsbeauftragte.

Mann, Mitte vierzig, verheiratet - so beginnen die Katastrophengeschichten

Aber dass Frauen geschlagen werden, daran habe man sich, zynisch gesprochen, gewöhnt. Es gebe Anlaufstellen für die Opfer. 435 Frauenhäuser in Deutschland. Und nur drei Männerhäuser. Dramatische Erfahrungen haben Matschke zur Erkenntnis gebracht, dass man dringend Hilfsangebote speziell für Männer schaffen muss.

Seit 2001 arbeiten in Stuttgart Stadt, Polizei, Justiz, psychosoziale Beratungsstellen und Kinderschützer in der Initiative STOP zusammen, um häusliche Gewalt in den Griff zu bekommen. In etwa zehn Prozent der Fälle, so stellte sich heraus, ging die Gewalt von Frauen aus und richtete sich gegen Männer. Eine vage Zahl. Aber ganz konkret gab es einen Selbstmord. Ein Mann nahm sich das Leben, weil er die Brutalität seiner Frau nicht mehr ertrug. Das gab den Anstoß, im Frühjahr 2014 "Gewaltschutz für Männer" zu starten.

Mann, Mitte vierzig, verheiratet, zwei Kinder. So beginnen die Katastrophengeschichten, die Jürgen Waldmann als Projektverantwortlicher erzählt. Es geht weiter mit Schlägen, Stalking, Drohungen mit Kindesentzug. Physische Gewalt sei keineswegs so selten, wie man das vermuten würde. Warum gehen diese Männer nicht endlich raus aus solchen Beziehungen? Das hat sich der Berater oft gefragt.

Es liege wohl auch daran, dass bei Scheidungen häufig die Kinder der Mutter zugesprochen wurden, obwohl von ihr die Gewalt ausgegangen war. Immer wieder berät Waldmann Männer, die als Kinder erlebten, wie der Vater die Mutter prügelte, und sich deshalb vorgenommen haben, ein ganz anderer Mann zu werden. Diese Männer seien oft unfähig, der Frau Grenzen zu setzen. Damit schließt sich der Kreis in der Gewalt zwischen den Geschlechtern.

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Jürgen Waldmann hat bislang 14 Männer beraten, mit dem zehnfachen Bedarf rechnet die Stadt. Viele Männer wüssten noch nichts von dem Angebot, viele würden sich noch scheuen, weil die Opferrolle nicht zur männlichen Identität passt, weil sie vor anderen nicht als "Weichei" erscheinen wollen.

Ende des Jahres will die Gleichstellungsbeauftragte Matschke das Pilotprojekt in ein reguläres Angebot überführen. Es wäre in der professionellen Form einzigartig in Deutschland. Und auch ein weiteres Tabuthema hat sie sich schon vorgenommen: Gewalt in homosexuellen Beziehungen.

© SZ vom 13.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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