Frankreich:Zu nah dran

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Wie Michel Neyret, Vize-Chef der Kriminalpolizei von Lyon, zum Kumpan der Verbrecher wurde.

Von Christian Wernicke, Paris

Er war der Super-Flic, galt als Star der Kripo von Lyon. Denn Michel Neyret, so glaubte man seinerzeit, kam letztlich jedem Gangster auf die Schliche. Ob Einbrecher oder Terrorist, Autodieb oder Drogendealer, dieser Mann mit den müden Augen, dem milden Lächeln und dem immer weit offenen, strahlend weißen Hemdkragen erwischte sie alle. Michel Neyret wirkte wie ein von der Wirklichkeit geschaffenes Double von Frankreichs Filmheld Alain Delon - bis sein tiefer Fall die eigene Legende zerstörte: Im September 2011 wurde der Vize-Chef der Kriminalpolizei von Lyon von den eigenen Kollegen verhaftet, weil er offenbar zu sehr eins geworden war mit jenem Milieu, in dem er ermittelte. Seit Montag steht der inzwischen 60-jährige Ex-Polizist wegen Korruption, Hehlerei und Verrat von Dienstgeheimnissen in Paris vor Gericht.

Zusammen mit Neyret sitzen sieben mutmaßliche Mittäter auf der Anklagebank, darunter seine Frau Nicole, drei Polizisten sowie zwei notorisch vorbestrafte Berufskriminelle. Zugleich dürfte der Prozess einen Teil des polizeilichen Handwerks aufarbeiten, das jeder Fernsehzuschauer aus fast jedem TV-Krimi kennt: die heikle, dunkle Grauzone, in der Beamte mit Informanten aus der Unterwelt kooperieren, um mächtigen Gangs und der großen Bandenkriminalität auf die Spur zu kommen. Neyret hatte viele solche Vertraute. Mehr als andere, und "bessere". So jedenfalls erklärt der Kriminalist bis heute seine früheren Erfolge. "Es gibt keine großen Ermittlungen von Drogenhandel oder Raub, die man ohne Spitzel lösen könnte", beteuert Neyret vor Gericht. In acht von zehn Dossiers stammen die entscheidenden Tipps von einem Zuflüsterer aus der Szene, da ist er sich sicher.

Informationen haben ihren Preis - und Neyret zahlte wohl bereitwillig. Seine Spitzel in Lyon sollen, bevor Diebesgut von der Polizei konfisziert wurde, regelmäßig einen Teil der Beute erhalten haben. Bei der Beschlagnahmung von Kokain oder Haschisch habe die Faustregel gegolten, den Informanten zehn Prozent als Lohn zuzubilligen. Der angeklagte Ex-Flic argumentiert, seine Vorgesetzten hätten gewusst, wie er arbeitete. Auch Nicolas Sarkozy, der ihm 2004 als Innenminister den Orden der Ehrenlegion ans Revers heftete, habe sich darüber nie Illusionen machen dürfen. Für den Einwand, dass Frankreichs Polizei bereits seit 2004 seine gut 2000 Spitzel auf einer geheimen Liste registriert und Info-Honorare nur gegen Quittung bezahlt, hat Neyret nur ein Lächeln übrig. Das sei Theorie. Er war Praktiker.

Irgendwann hat Neyret die Kontrolle verloren - über sich selbst. Er freundete sich mit dem Wirtschaftskriminellen Gilles Benichou an, tauschte offenbar Infos aus Polizeiakten gegen Geld und Luxus. Der Flic ließ sich nach Marokko und Cannes einladen, fuhr Ferrari, schenkte seiner Frau eine 30 000 Euro teure Armbanduhr. Ihr Mann sei "ein größerer Gauner als andere", beschimpfte Ehefrau Nicole Neyret den Gönner ihres Gatten am Telefon, "er ist besessen von Knete, Knete, Knete." Die Polizei schnitt mit und verhaftete ihn. Neyret behauptet, sein opulenter Lebensstil sei nur Teil seiner Strategie gewesen: Er habe noch größere Fische fangen wollen.

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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