Flüchtlinge:In der Heimat bringen sie Männer wie ihn um - aber heute tanzt Raian

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Ein Teilnehmer der Hamburger "Pride Parade" zeigt Bilder von Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung getötet wurden. (Foto: Markus Scholz/dpa)

Auf dem Hamburger Christopher-Street-Day erleben homosexuelle Geflüchtete, wie frei man in Deutschland seine Liebe leben kann. Zumindest außerhalb der Sammelunterkünfte.

Von Lennart Herberhold, Hamburg

In seiner Heimat bringen sie Männer wie ihn um. Aber heute tanzt Raian. Die Arme und Beine des 20-Jährigen sind golden geschminkt, er trägt eine goldene Maske. Aus den Lautsprechern des kleinen Lastwagens, der vor ihm durch die Hamburger Innenstadt fährt, schallen arabische Popsongs. Raian lächelt schüchtern und hebt den Daumen, wenn jemand vom Straßenrand aus seiner Gruppe zujubelt. Um ihn herum tanzen zwölf andere Männer. "Ich bin schwul, ich muss einfach hier sein!", sagt ein junger Syrer. Auch dieser Syrer ist maskiert. Eines der gezückten Smartphones am Straßenrand gehört ja vielleicht einem Landsmann. Ein verräterisches Foto könnte in der alten Heimat landen. Oder bei jemandem aus der Flüchtlingsunterkunft.

Die "Pride Parade" in Hamburg: Viel nackte Haut, viel Techno und viele freundlich lächelnde Menschen am Straßenrand. Alles wie immer. Aber in diesem Jahr laufen zum ersten Mal schwule, lesbische und transsexuelle Geflüchtete mit, die meisten aus dem Irak und Syrien. Sie sehen Händchen haltende Männer und Frauen, die sich küssen. Sie sehen Freiheit. Aber viele von ihnen wissen nicht, ob sie selbst diese Freiheit je werden leben können.

Raians Freunde schrieben: "Komm nach Deutschland, hier bist du sicher!"

Raian, der in Wirklichkeit anders heißt, ist im Irak geboren. Dort töten IS-Kämpfer schwule Männer, indem sie sie von Dächern stoßen. "Komm nach Deutschland, hier bist du sicher!", schrieben ihm Freunde, die schon hier leben. Also kam er, über die Türkei, Griechenland und den Balkan. Raian lebt in einer Unterkunft am Stadtrand von Hamburg. Für homosexuelle und transsexuelle Menschen sind solche Unterkünfte gefährliche Gebiete. Bei der Sozialbehörde heißt es, zwölf Geflüchtete seien hier allein im vergangenen Jahr Opfer von Gewalttaten geworden. Weitaus häufiger sind Schikanen und Drohungen.

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"Die Menschen in großen Unterkünften stehen unter Druck", sagt Jouanna Hassoun vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg. "Da suchen sich manche Bewohner die Schwächsten aus, und das sind schwule Männer und Transsexuelle." Nicht alle Migranten seien homophob, betont Hassoun. Aber manche brächten die Homophobie von zu Hause mit. Ein junger Palästinenser auf dem Hamburger CSD formuliert es so: "Ich bin vor den Schwulenhassern in meiner Heimat geflohen, und jetzt sitze ich in einer Unterkunft und muss mich wieder verstecken."

Pünktlich zum CSD hatte die Hamburger Sozialsenatorin Melanie Leonhard angekündigt, dass für bedrohte homosexuelle und transsexuelle Geflüchtete eigene Wohnungen gesucht werden sollen. Auch Raian, der junge Iraker, will weg aus seiner Unterkunft. Er hat sich an "Queer Refugees Support Hamburg" gewandt - eine der Gruppen, die homosexuelle und transsexuelle Geflüchtete unterstützen und Auftritte wie den beim CSD organisieren. Sie vermitteln Anwälte und organisieren ein sicheres Bett für die, die es in ihrer Unterkunft nicht mehr aushalten. Und sie hören einfach mal zu.

Doch die größte Hürde auf dem Weg ins sichere Deutschland bleibt das, was Raian und die anderen "das Interview" nennen. Bei diesem Gespräch sitzt der Geflüchtete einem Entscheider des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gegenüber und muss ihn davon überzeugen, dass er wegen seiner Homosexualität verfolgt wurde. Die, die ihr Leben lang geschwiegen haben, sollen jetzt also offen über ihr größtes Geheimnis sprechen. Von der Glaubwürdigkeit des Vortrags hängt ab, ob Asyl gewährt wird oder nicht.

"Wir versuchen, uns durch allgemeine Fragen ran zu tasten", erklärt Ursula Gräfin Praschma, Leiterin der Abteilung Asylverfahren beim Bamf. "Wir fragen, wann er oder sie das denn gespürt hat. Und ob sie oder er in der Heimat schon eine gleichgeschlechtliche Freundin oder einen Freund gehabt hat." Und wenn ein Entscheider mit Homosexuellen nichts anfangen kann oder gar homophob ist? Man versuche, Entscheider zu finden, die allen Fluchtgründen gegenüber offen seien, heißt es beim Bamf. "Aber mehr können wir auch nicht tun." Manche Entscheider fragten nach Sexpraktiken und der Zahl der Sexpartner, das hätten ihr Geflüchtete berichtet, erzählt Jouanna Hassoun vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg. Das sei "nicht vorgesehen", heißt es beim Bamf. Und die schwulen Geflüchteten in Hamburg sagen: Es ist ein Roulettespiel, wer einem beim Interview gegenüber sitzt.

Während die anderen weiter tanzen, geht Raian ein Stück beiseite, um in Ruhe erzählen zu können. Er spricht kein Deutsch, sein Englisch ist gebrochen, ein syrischer Freund übersetzt für ihn aus dem Arabischen. Bei seinem ersten Interview habe man ihm gleich gesagt, er müsse zurück auf den Balkan. Dorthin, wo er zuerst europäischen Boden betreten hat. Dort solle er einen neuen Antrag stellen. In sechs Monaten muss Raian nun weg aus Hamburg, weg von den Leuten, die gerade zu Freunden werden. Ein Anwalt wäre jetzt gut, aber den kann er sich nicht leisten. "Ich habe Angst", sagt er hinter seiner goldenen Maske. Dann geht er zurück zu den anderen, um zu tanzen.

© SZ vom 08.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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