Europaweite Einbrüche in Museen:Das Rhino-Komplott

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Eine Räuberbande verbreitet in ganz Europa Angst und Schrecken in Naturkundemuseen, Tiergärten und Antiquitätenhandlungen. Die Kriminellen sind auf der Jagd nach einem angeblichen Wunderheilmittel - dem Horn des Rhinozeros.

Stefan Ulrich, Paris

Die Räuber nahten am frühen Nachmittag. Sie besprühten die Wächter am Eingang des Pariser Jagdmuseums im belebten Marais-Viertel mit Tränengas und eilten die Treppe zum ersten Stock hinauf. Ihr Ziel: das Horn eines weißen Nashornes. Die beiden Männer packten die Trophäe und machten sich auf die Flucht. Draußen wartete ein Komplize im Auto. Die Polizei kam zu spät.

Die Rhino-Horn-Räuber sind in ganz Europa aktiv. Klicken Sie in die Karte, um einen Überblick über alle Fälle zu erhalten. (Foto: SZ-Graphik, Ilona Burgarth / dpa)

Der Überfall ereignete sich am Dienstag. Tags zuvor hatten Unbekannte einen reich mit Skulpturen verzierten Kelch aus Nashorn in der Pariser Galerie Piasa entwendet. Dabei setzten sie ebenfalls Tränengas ein. Der Wert der Beute: geschätzte 50.000 Euro. Die Ermittler der französischen Sondereinheit für den Kulturgüterschutz namens OCBC waren von den beiden Fällen nicht überrascht. Sie registrieren seit Jahresanfang eine regelrechte Jagd auf Rhinozeros-Hörner.

So schlugen die Rhino-Räuber im März im Museum für Naturgeschichte von Rouen zu, im Juli im Afrikanischen Museum der Ile d'Aix sowie im Naturgeschichtlichen Museum von Blois und im November in einem Auktionshaus von Toulouse. Insgesamt sind dieses Jahr schon fast zwei Dutzend Hörner in Frankreich gestohlen worden. Oberst Stéphane Gauffeny, der Chef der OCBC mit Sitz in Nanterre bei Paris, warnt: "Das sind sehr gut organisierte und sehr aktive Kriminelle."

Gauffenys Einschätzung wird vom europäischen Polizeiamt Europol in Den Haag geteilt. Dort haben die Beamten beobachtet, dass in jüngster Zeit in zahlreichen Ländern Rhinozeros-Hörner entwendet wurden, aus Museen und Auktionshäusern, bei Antiquitätenhändlern oder Privatleuten. Diebstähle wurden etwa aus Großbritannien und Deutschland gemeldet, aus Belgien, Italien, Tschechien, Österreich oder Schweden. Europol gab daher bereits im Sommer eine Warnung an seine Mitgliedsstaaten heraus. Das Polizeiamt forderte sie auf, "mögliche Ziele" vor dem Besuch suspekter Menschen zu warnen.

Europol sieht die Organisierte Kriminalität am Werke. Hinter den Nashorn-Diebstählen stecke eine gut vernetzte Bande von aus Irland stammenden Tätern. Die Gruppe sei auf vielen Gebieten aktiv, etwa im Drogenhandel und bei der Geldwäsche. Nun habe sie sich zusätzlich auf den Diebstahl und illegalen Handel von Nashorn spezialisiert. Dabei wende sie auch Gewalt an.

Allzweckwaffe Rhino-Horn

Die europaweite Jagd auf die Rhino-Trophäen hat ihren Grund: In etlichen Ländern Ostasiens und speziell in der traditionellen chinesischen Medizin gilt Pulver aus Nashorn als Wundermittel und Allzweckwaffe gegen Krankheiten und Gebrechen. Es soll gegen Fieber, Migräne, Vergiftungen, Epilepsie und Typhus helfen, gegen Krebs und erlahmende Libido. Für so ein Mittelchen geben die Menschen viel Geld aus; und da der Mittelstand in Ostasien rasch wächst, steigt auch die Nachfrage nach dem raren Nashorn, dessen Handel eigentlich weltweit verboten ist, da die Tiere vom Aussterben bedroht sind.

Je nach Größe und Qualität kann ein Nashorn zwischen 25.000 und 200.000 Euro wert sein", schätzt Interpol. Zu behaupten, das hornige Pulver sei Gold wert, ist demnach untertrieben. Für kunstvolle Horn-Becher in Hibiskusblüten-Form wird sogar noch mehr bezahlt. Schon das Trinken aus diesen Kelchen bewirkt nach Meinung mancher Chinesen Mirakel oder sogar Unsterblichkeit.

Bislang beschränkten die Jäger des verbotenen Horns ihr Revier auf Afrika und Asien. Allein in Südafrika haben Wilderer dieses Jahr schon 405 der seltenen Tiere getötet, teilte die Nationalparkverwaltung gerade mit. Doch damit begnügen sich die Rhino-Räuber nicht mehr. Sie weiten ihre Hatz auf die Museen und Sammlungen Europas aus. Diese haben bereits begonnen, sich besser zu schützen, indem sie ihre Hörner zusätzlich absichern oder gleich aus den Ausstellungsräumen entfernen. Manche behelfen sich mit Attrappen. Im August klauten Einbrecher zwei Hörner aus dem Naturhistorischen Museum der englischen Gemeinde Tring. Es waren Kopien.

Die Besitzer europäischer Zoos und Safari-Parks befürchten inzwischen, die Nashorn-Bande könnte nun auch ihnen zusetzen. Der Frankfurter Zoo erhöhte daher die Schutzmaßnahmen für seine beiden Spitzmaulnashörner. Der Serengeti-Park im niedersächsischen Hodenhagen schaffte neue Kameras, Lichtschranken und Stalltüren an, um seine Tiere zu schützen.

Auch Paul de la Panouse, der Gründer des Wildtier-Parks und Zoos von Thoiry westlich von Paris, ist um seine drei weißen Nashörner besorgt: "Sobald sie unsere Museen geplündert haben, laufen wir Gefahr, dass diese Verrückten unsere Tiere töten." De la Panouse hat daher ebenfalls mit Kameras aufgerüstet und lässt seine Angestellten Extra-Runden drehen. Mögliche Räuber warnt er: "Diese Tiere wiegen drei Tonnen und haben einen sehr schlechten Charakter." Zudem sei es doch absurd, nach einem Horn zu haschen, das keine nachweisbare Wirkung habe.

Tatsächlich bestehen die Hörner der Rhinozerosse aus Keratin, genauso wie die Haare und Nägel der Menschen. De la Panouse findet daher, wer Nashorn-Pulver schlucke, um seine Potenz zu steigern, könne auch Fingernägel kauen.

© SZ vom 09.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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