Entführtes Mädchen in Kalifornien aufgetaucht:Rettung per Facebook

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In diesem Haus in Kalifornien soll der mutmaßliche Entführer Isidro G. mit der Frau gelebt haben. (Foto: dpa)

Zehn Jahre lang war sie eine Gefangene. Dann entdeckt eine 25-Jährige ihre Schwester bei Facebook - und traut sich zur Polizei. Ihr mutmaßlicher Entführer hatte sie unter Drogen gesetzt, misshandelt und zur Heirat gezwungen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Geschichte klingt zunächst wie ein makaberer Streich. Da meldet sich jemand über Facebook bei einer jungen Frau und behauptet, ihre vor zehn Jahren verschwundene Schwester zu sein. Sie sei unter Drogen gesetzt, entführt und zur Heirat gezwungen worden. Sie habe eine zwei Jahre alte Tochter mit ihrem Peiniger, der sie nicht nur misshandele, sondern ihr auch immer wieder drohe, sie nach Mexiko abschieben zu lassen, falls sie nicht bei ihm bleibe.

Nur: Es ist tatsächlich die Schwester, die sich da über das soziale Netzwerk meldet - und sich erst nach der Kontaktaufnahme endlich zur Polizei traut. Die hat den mutmaßlichen Entführer, den 42 Jahre alten Isidro G., am Dienstag verhaftet. Ihm werden zahlreiche Verbrechen zur Last gelegt, er soll am Donnerstag angehört werden.

"Nach Jahren des körperlichen und psychischen Missbrauchs sah das Opfer keinen Ausweg aus ihrer Situation. Sie gab an, nach zwei erfolglosen Fluchtversuchen von ihrem Entführer jeweils brutal verprügelt worden zu sein", sagt Anthony Bertagna von der Polizei in Santa Ana, einer Stadt etwa 50 Kilometer südöstlich von Los Angeles: "Sie brachte erst den Mut auf, die Polizei zu verständigen, nachdem sie ihre Schwester gefunden hatte und es für die beste Lösung auch für ihr Kind hielt."

Die Polizei veröffentlichte weder Identität noch Aufenthaltsort des Opfers und ihrer Tochter. Bekannt ist nur, dass sie mittlerweile 25 Jahre alt ist, in Mexiko geboren und bei ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten kein Englisch gesprochen hat.

"Er sagte ihr, dass ihre Mutter sie nicht mehr lieben würde"

Sie kam im März 2004 aus Mexiko zu ihrer Mutter nach Santa Ana, die zuvor aus ihrem Heimatland in die USA geflohen war und in einem großen Apartmentkomplex für Immigranten und Arbeiter lebte - gemeinsam mit ihrem Freund und der Schwester des Opfers. Der allerdings verging sich laut Angaben der Polizei nicht nur an der Mutter, sondern auch an der Tochter. Nach einem Streit im August 2004, G. schlug dabei die Mutter, rannte das damals 15 Jahre alte Mädchen in einen Park. G. lief ihr hinterher.

"Sie sagte zu ihm: ,Ich will einfach nur nach Hause, ich habe Kopfschmerzen'", sagt Bertagna von der Polizei: "Er jedoch teilt ihr mit, dass das nicht möglich sei, weil ihre Mutter die Polizei gerufen habe. Wenn sie nach Hause gehen würde, dann müsste sie zurück nach Mexiko - sie halte sich schließlich illegal in den USA auf." G. habe seinem Opfer Drogen verabreicht und sie nach Compton gefahren, wo er sie in eine Garage gesperrt habe. Der nahegelegene MacArthur Park in Los Angeles ist bekannt als Ort, an dem sich illegale Einwanderer gefälschte Papiere besorgen können - und das tat G. kurz nach der Entführung. "Er sagte ihr, dass ihre Mutter sie nicht mehr lieben würde - mit der Zeit hat sie sich an diesen Gedanken gewöhnt", sagt Bertagna.

Die Mutter meldete das Verschwinden der Tochter zwar der Polizei, war sich jedoch nicht sicher, ob sie nicht freiwillig mit G. abgehauen sei. Die damalige Nachbarin Silvia Suarez sagt: "Sie erzählte mir, dass sie Probleme mit ihrem Partner habe - sie glaubte, dass er seit zwei Monaten eine Liebesbeziehung mit ihrer Tochter habe." Die Suche blieb erfolglos, ohne Spur wurde der Fall nach einigen Monaten zu den Akten gelegt. Allerdings: Es war keine Romanze, es waren Vergewaltigungen. Und es war nicht die Flucht eines Liebespaares, sondern die eines Verbrechers mit seinem Opfer.

"Traurigerweise haben wir das bereits erlebt"

In den folgenden zehn Jahren zog G. immer wieder mit seinem Opfer im Großraum L.A. um, zunächst nach Stanton, dann nach Long Beach, schließlich nach Bell Gardens östlich von Los Angeles. Laut Bertagna habe G. die gefälschten Papiere dazu benutzt, das Alter seines Opfers zu ändern - so konnte er sie im Jahr 2007 zur Heirat zwingen, vor zwei Jahren kam eine gemeinsame Tochter zur Welt. Nachbarn erklären nun, sie hätten G. und sein Opfer für ein glückliches Paar gehalten, das gemeinsam zur Kirche gekommen sei, im Garten mit der Tochter gespielt und Feste organisiert habe. Nachts hätten sie zusammen bei einem Putzservice gearbeitet. Allerdings diente die gemeinsame Schicht offenbar dazu, dass G. sein Opfer kontrollieren konnte.

So unglaublich der Fall klingt, er ist in den USA keine Seltenheit. "Traurigerweise haben wir das bereits erlebt: Der Entführer hält sein Opfer gefangen, er peinigt und vergewaltigt es - und macht es glauben, dass die Familie es nicht länger mag", sagt Rober Lowery. Er ist der Leiter der Abteilung für verschwundene Kinder im National Center for Missing & Exploited Children. Erst im Mai vergangenen Jahres wurden in Cleveland drei Frauen befreit, die zehn Jahre lang von einem Mann eingesperrt und misshandelt worden waren.

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Er sperrte sie in sein Haus ein und fesselte sie mit einem Verlängerungskabel: Ein Opfer des Entführers Ariel Castro spricht in einem TV-Interview über seine jahrelangen Torturen.

Und nun also der Fall in Kalifornien, bei dem der mutmaßliche Täter sein Opfer zehn Jahre lang misshandelte, sexuell missbrauchte und psychisch gebrochen hat. Er sitzt nun im Gefängnis, Anklage soll nach der Anhörung am Donnerstag erhoben werden. Womöglich werden dann auch Details zur Identität des Opfers bekannt. Derzeit sagt Bertagna nur: "Obwohl sie die Gelegenheit zur Flucht hatte, sah sie keinen Ausweg - weil sie glaubte, dass ihre Familie nicht mehr nach ihr suchen würde."

Dann jedoch fand sie ihre Schwester bei Facebook.

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