Elvis-Gedenktage in Bad Nauheim:Petticoat statt Schnabeltasse

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Ein zweites Memphis? Da muss man die 6000 Pilger, die zu den Elvis-Gedenktagen kommen, nicht zweimal fragen. (Foto: Getty Images)

Bismarck war schon in Bad Nauheim, Einstein und Karl May. Doch gehuldigt wird in der "Gesundheitsstadt" nur dem King - Elvis Aaron Presley, der hier zwei Jahre stationiert war. Ein Besuch bei den jährlichen Gedenktagen.

Von Roman Deininger, Bad Nauheim

Als die kühle Sommernacht in den 16. August hinübergleitet, in den 37. Todestag Elvis Aaron Presleys, wird es still an der Stele. Gerade hat sich ein meinungsstarkes Ehepaar aus Bayern noch darüber beschwert, dass das in Stein gemeißelte Gesicht auf der Gedenksäule einem offenbar nicht übermäßig geschätzten Verwandten aus Rosenheim ähnlicher sehe als dem König des Rock 'n' Roll.

Zwei ältere Damen aus den Niederlanden haben ebenso zwang- wie ergebnislos um den besten Platz zur Niederlegung eines Teddybären gerungen. Doch dann, um Mitternacht, kann man auf einmal ungestört zuhören, wie der Wind knisternd durch das Feuer der Fackeln streicht. "Wir vermissen dich", sagt eine Frau irgendwann, sie sagt das zu Elvis. Zu ihrem Mann sagt sie: "Machste noch'n Bildchen von mir und dem King? Und nicht wieder wackeln."

Bad Nauheim nennt sich "Gesundheitsstadt", aber die Menschen, die hier am Rand des Taunus, dreißig Kilometer nördlich von Frankfurt, die Linderung ihrer Leiden suchen, sind immer weniger geworden mit den Jahrzehnten. Umso stolzer verweist man heute auf all die Könige, Kaiser und Zaren, Bismarcks, Einsteins und Karl Mays, die einst in dem prunkvollen Jugendstil-Ensemble die Schnabeltasse schwangen. Man muss aber ganz nüchtern feststellen, dass an die hohen Herren und Majestäten vor Ort kein einziges Stofftier erinnert, auch kein liebevoll bemaltes, mit Zellophan überzogenes Pappherz ("Forever yours, Eva"). Der König von Bad Nauheim ist zweifellos Elvis Presley, jedes Jahr huldigt ihm die Stadt an drei Tagen im August, mit 50er-Partys und Cadillac-Parade.

Elvis hat sich seine Zeit gut vertrieben in "Schlecht Nauheim"

Dabei soll der G.I. Elvis, so die Überlieferung, doch etwas skeptisch gewesen sein, als er erfuhr, dass er seinen - nicht allzu entbehrungsreichen - Wehrdienst in Bad Nauheim verbringen würde. Welcher Ort, fragte sich der junge Mann aus Mississippi, setzt schon freiwillig das Wörtchen "bad" vor seinen Namen? Er hat sich seine Zeit dann aber gut vertrieben in "Schlecht Nauheim", seinem "European Home" von 1958 bis 1960. Nirgends sonst außerhalb der USA hat Elvis so lange gelebt. Die Kurstadt darf davon träumen, ein europäisches Memphis zu werden, ein Hauptaltar im Tempel des Königs - und ein Geschäftszentrum der viele hundert Millionen Dollar schweren Elvis-Gedenkindustrie.

Die Frage ist nur, ob die Nauheimer das auch wirklich wollen. Die Elvis-Stele hat 1995 ein Steinmetz privat gespendet; die Kommune brauchte noch vier Jahre, bis sie die Wendefläche außen rum "Elvis-Presley-Platz" taufte. Ein Elvis-Presley-Verein nahm auch erst um die gleiche Zeit seine Erinnerungsarbeit auf. Sicher, während des Festivals scheint sich die Stadt zu einschlägiger Dauerbeschallung verabredet zu haben: "Suspicious Minds" dringt aus der Bierstube Kleiner König, "Jailhouse Rock" aus dem Irish Pub, "Kentucky Rain" aus dem Mega Mix Grill. Aber es ist auch nicht schwer, einen Taxifahrer zu erwischen, der sofort die Fenster hochfährt, weil er nichts von dem mehr hören will. Und nebenan in Friedberg erlaubt sich der Bürgermeister den Hinweis, Elvis habe in den Ray Barracks in seiner Stadt gedient. "In Bad Nauheim hat er halt geschlafen."

Elvis überall: "Suspicious Minds" schallt aus der Bierstube Kleiner König, "Jailhouse Rock" aus dem Irish Pub, "Kentucky Rain" aus dem Mega Mix Grill. (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Ein zweites Memphis? Zumindest die etwa 6000 Pilger, die zum 13. European Elvis Festival einfallen, muss man nicht zwei Mal fragen.

Zur Eröffnung haben sie sich in der gediegenen Trinkkuranlage versammelt, und wenn nicht so viele Gäste mit Petticoat und Pomade auffallen würden, könnte hier auch ein Vortrag über Schüßler-Salze beginnen. Stattdessen erklimmt Alfred Wertheimer die Bühne, er hat 1956, als sie beide blutjung waren, die vielleicht intimsten Elvis-Fotos überhaupt gemacht. In einer feinen Ausstellung im Kurhaus sind sie zu sehen, Elvis im Schlafwagen, Elvis beim Knutschen mit dem "Date of the Day".

Er habe so viele Jobs gehabt, sagt Fotograf Wertheimer, "aber alles, was die Leute mich fragen, ist: Wie war Elvis denn nun?" Zwei Sachen seien ihm damals gleich aufgefallen, verrät er mit äußerster Zeitzeugen-Routine. "Er hat Nähe zugelassen. Und er hat die Mädchen zum Schreien gebracht. Auch die auf den besseren Plätzen."

"Elvis hat uns verdorben für alle deutschen Männer unseres Alters"

Das Festival ist gut bevölkert von Leuten, deren Leben Elvis Presley in seinem hessischen Intermezzo irgendwie gestreift hat. Die Auftaktparty: Im Saal spielen Danny and the Wonderbras, auf der Terrasse kommt eine Frau mit grauen Haaren und knallgrünem Kleid ins Reden. Sie war damals jung in Bad Nauheim. Auch sie hat sich die Finger wund gewählt, als die Bravo einmal die Telefonnummer von Elvis' Villa in der Goethestraße 14 abgedruckt hatte.

Auf dem Fan-Markt im Platanenhof kann man Elvis-Flaschenöffner und -Frisbees erstehen, auch eine CD mit seinen privaten Tonaufnahmen aus Bad Nauheim. (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

"Elvis hat mich und meine Freundinnen verdorben für alle deutschen Männer unseres Alters. Wir wollten einfach nix mehr von denen." Aber das Problem hat sich hoffentlich irgendwann erledigt? "Ganz langsam. Half ja nix." Elvis selbst hat dann bei einer Party in eben jener Villa die 14-jährige Tochter eines Army-Captains kennengelernt. Priscilla hieß das Mädchen und wurde später seine Frau.

Wer ehedem nicht selbst dabei war, kann auf Nostalgie-Rundgängen die, na gut, historischen Stätten abschreiten: das Hotel Grunewald, in dem sich Elvis samt Oma und Papa eine ganze Etage mietete; das Studio G, in dem er "It's Now or Never" einspielte; das Gradierwerk, in dem Nauheimer Salze seine Stimme kräftigten für die weitere Weltkarriere.

Im Pfälzer Hof hängt eine Karte von Elvis, "Danke schürn" fürs gehaltvolle Abendessen. Auf dem Fan-Markt im Platanenhof kann man Elvis-Krawatten und Elvis-Frisbees erstehen, auch eine CD mit seinen privaten Tonaufnahmen aus Bad Nauheim. "Que sera" singt er da zum Beispiel, und sein Daddy quatscht beherzt dazwischen.

Ein rosa Cadillac schwebt vorbei - der Zauber ist perfekt

Manche Fans sind sich ihrer nie versiegenden Zuneigung zu Elvis ganz sicher. Und so lebt er weiter, der König des Rock 'n' Roll. Irgendwie. (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Als die Vorsitzende der Elvis-Presley-Gesellschaft in der Lobby des Festival-Hotels Platz nimmt, läuft ein Lied von Helene Fischer, irgendwer hat da ganz grob nicht aufgepasst. Maria Hesterberg, rote Haare, rote Schuhe, leitet im zivilen Leben ein Bildungszentrum, hier leitet sie das Festival. Und sie legt Wert auf dessen Anspruch: "Wir haben bei den Konzerten keine bloßen Elvis-Imitatoren, wir haben Künstler mit eigener Note." Die Besucher kämen aus ganz Europa, nicht nur Hardcore-Fans, sondern auch normale Leute, die nicht schon vier Elvis-Krawatten und zwei Elvis-Frisbees im Schrank haben. Der Zauber des Königs, sagt Hesterberg, solle nicht wie anderswo im Kommerz ersticken.

Es ist zwei Uhr morgens an der Straße von Bad Nauheim nach Friedberg, rechts Bäume, links Büsche. Es nieselt, Dunst hängt über dem Asphalt. Mattes Scheinwerferlicht schimmert durch die Dunkelheit. Wie in Zeitlupe schwebt ein rosa Cadillac vorbei, bis die Nacht seine Rücklichter schluckt. Der Zauber von Bad Nauheim ist für einen kleinen Moment perfekt.

© SZ vom 18.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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