Schleswig-Holstein:Seehundretter: "Wegen der Knopfaugen nicht überreagieren"

Lesezeit: 2 min

Seehund-Waise in einer Auffangstation in Schleswig-Holstein. (Foto: AFP)

Besorgte Touristen klingeln in einer Seehundstation an der Nordsee Sturm. Deren Leiter erklärt, wann die Heuler tatsächlich Hilfe brauchen - und wann ihre Ruhe.

Interview von Thomas Hahn

Die Leitstelle der Polizei an Niedersachsens Nordseeküste hat dieser Tage beklagt, dass zu viele Touristen scheinbar hilflose Seehundbabys melden. Die Notrufleitungen seien zeitweise belegt, dabei sei die Seehundstation Norddeich für solche Anzeigen zuständig. Dort müssen jetzt der Leiter Peter Lienau und seine Mitarbeiter dem Ansturm standhalten.

SZ: Herr Lienau, die Polizei hält sich raus und Ihr Haus bekommt alle Seehund-Notrufe ab, oder?

Peter Lienau: Das ist in Ordnung. Es ist sinnvoll, wenn die Anrufe bei einer zentralen Stelle ankommen. Wenn überall angerufen wird, schafft man eine Meldekette bis ins Nirwana und keiner kennt sich aus.

Geht es den Seehundbabys denn schlecht?

Prinzipiell nicht. Es gibt nur einige wenige, die Störungen durch Menschen oder Stürme von der Mutter getrennt haben. Die treiben dann irgendwo an, auch an den Badestränden. Diesen Tieren geht es nicht gut.

Was tun?

Man muss zunächst mal differenzieren: Im Juni, Juli ist die Phase, in der die Jungtiere geboren werden. Jungtiere, die zu dieser Zeit gefunden werden, sind von der Mutter abhängige Säuglinge und brauchen Hilfe. Touristen können dann bei uns anrufen. Wir schicken einen Mitarbeiter, der kontrolliert, ob der Kontakt zur Mutter noch herstellbar ist. Wenn nicht, kommt das Junge auf unsere Station. Aber ab Ende Juli, Anfang August kann man davon ausgehen, dass kein Tier mehr abhängig von der Mutter ist. Da muss man dann nirgends mehr anrufen, sondern wie immer bei Sichtkontakt mit Wildtieren: Abstand halten. Hunde an die Leine. Nur melden, wenn das Tier sichtlich verletzt ist.

Rufen wirklich zu viele an?

In Zeiten des Smartphones und der unbegrenzten Erreichbarkeit ist es relativ schlimm geworden. Es wechselt je nach Jahres- und Ferienzeit. Während der Geburtenphase Mitte Juni hat es sich gehäuft, da hatten wir bis zu 30 Einsätze, bis zu 18 eingelieferte Tiere und zwischen 150 und 300 Anrufe pro Tag.

Das klingt nach Belastungsgrenze.

Unsere Telefonanalage ist auch schon einmal zusammengebrochen.

See hunde sehen an Land aber auch wirklich oft herzzerreißend unglücklich aus.

Das ist die Crux mit der Optik des Seehundes: Er hat einen runden Kopf, große Knopfaugen und an Land wirkt er unbeholfen. Dabei verbringt er mindestens ein Drittel seiner Zeit an Land.

Was bedeutet das für einen Seehund, wenn man ihn dabei nicht in Ruhe lässt?

Stress natürlich. Und Stress bedeutet immer Energieverlust, der ihn noch schwächer macht, als er vielleicht schon ist.

Und dann?

Seehunde sind prinzipiell nicht aggressiv, aber wenn man zu nah rangeht, wissen sie sich zu verteidigen. Die können beißen.

Man darf Seehunde nicht streicheln?

Nein, die Gefahr gebissen zu werden ist zu groß: Der Seehund ist ein Raubtier, auch die Jungtiere haben schon ein ordentliches Gebiss und über ihren Speichel kann man sich gefährliche Bakterien einfangen. Außerdem kann Streicheln im Juli auch bedeuten, dass die Mutter ihr Junges nicht mehr annimmt, weil menschlicher Geruch an ihm haftet. Man sollte als Tourist auf die kleinen Seehunde achten. Aber man sollte sie respektieren und nicht wegen ihrer Knopfaugen überreagieren.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Primatologie
:Affen als versierte Nussknacker

Archäologen entdecken 700 Jahre alte Affen-Werkzeuge. Lernten die Menschen einst von den Tieren?

Von Katrin Blawat

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: