Doppel-Mord im Live-TV:Guter Reporter, gewalttätiger Kollege

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Das Auto von Vester Lee Flanagan am Straßenrand des Highway. (Foto: REUTERS)

Während eines Live-Interviews erschießt Vester Flanagan zwei Ex-Kollegen. Vorangegangen waren viele Probleme, in einem Abschiedsbrief schreibt er: "Ich war ein menschliches Pulverfass."

Von Jana Stegemann

Vor laufender Kamera hat Vester Lee Flanagan am Mittwoch zwei ehemalige Kollegen erschossen - und sich dabei selbst gefilmt.

Offenbar war der 41-Jährige zuvor immer wieder mit Kollegen aneinander geraten. In seiner Karriere als Journalist wurde Flanagan von mindestens zwei Fernsehstationen wegen Schwierigkeiten mit anderen Mitarbeitern gefeuert, zuletzt vom Sender WDBJ7. Ehemalige Kollegen beschreiben ihn nach seiner Tat zwar als sehr guten Reporter, aber auch als seltsamen und aggressiven Einzelgänger.

Das Memo vom 30. Juli 2012

Dan Dennison findet am 30. Juli 2012 klare Worte. Der Nachrichtenchef des Senders WDBJ7 in Virginia gibt seinem Mitarbeiter Flanagan, der dort unter dem Namen Bryce Williams als Reporter arbeitet, eine letzte Chance. In einem internen Memo ( hier das Originaldokument), das dem britischen Guardian vorliegt, stellt Dennison dem Reporter ein Ultimatium: "Ihr Verhalten sorgt für erhebliche Spannungen zwischen Ihnen und Ihren Kollegen. Wenn Sie das nicht sofort in den Griff bekommen, müssen wir Ihnen leider kündigen."

Dennison geht noch weiter. In dem sechs Absätze umfassenden Schreiben heißt es, dass sich viele Kollegen von Flanagans "aggressivem Verhalten bedroht fühlen". Flanagan sei sogar handgreiflich gegenüber einem Kollegen geworden. Außerdem kritisiert er den "harschen Umgangston" und die "aggressive Körpersprache" des Reporters.

Sollte sich der Mitarbeiter nicht sofort professionelle medzinische Hilfe suchen, bleibe ihm nichts anderes übrig, als ihm zu kündigen, schreibt Dennison weiter und gibt ihm die Telefonnummer des sendereigenen medizinischen Fachpersonals. Das sei kein Hinweis, sondern eine Anweisung, so Dennison. Sollte Flanagan dieser nicht nachkommen, werde das Konsequenzen für ihn haben.

Erschoss zwei Ex-Kollegen vor laufender Kamera: Vester Lee Flanagan auf einem undatierten Foto. (Foto: AP)

Die Kündigung und Flanagans Ausraster

Wenige Monate später, am Weihnachtsabend, mailt Dennison seinen anderen Mitarbeitern, dass man Flanagan noch eine letzte Chance gegeben habe, seinen Job zu retten. Im Februar 2013 wird Flanagan wegen seiner Wutausbrüche, "seiner nicht zufriedenstellender Arbeit und seiner Unfähigkeit, im Team zu arbeiten" gekündigt. Als dem Reporter seine Entlassung mitgeteilt wird, reagiert er aggressiv und muss von der Polizei aus dem Sendergebäude eskortiert werden.

Kurz bevor Flanagan von der Polizei aus dem Gebäude gebracht wird, spricht er eine Drohung aus: "Ruft die Polizei. Ich werde nicht gehen, ich werde mächtig Ärger machen und es wird in allen Schlagzeilen sein."

Die New York Times berichtet von Gerichtsdokumenten, die das angespannte Verhältnis von Flanagan und WDBJ-TV belegen. Flanagan klagt gegen seine Entlassung - vergeblich. In einem Brief an den zuständigen Richter schreibt er: "Mein ganzes Leben wurde zerstört, nachdem ich quer durchs Land gezogen bin für meinen Traumjob, der sich in einen Alptraum verwandelte."

Alison Parker und Adam Ward wurden von Flanagan vor laufender Kamera erschossen. (Foto: AFP)

Immer wieder geriet Flanagan mit Kollegen aneinander

Zwei Monate nachdem Flanagan bei dem Sender angefangen hatte zu arbeiten, häuften sich die Beschwerden über ihn. Während einer Diskussion in einem Übertragungswagen sei Flanagan das erste Mal handgreiflich gegenüber Kollegen geworden, heißt es in dem ersten Memo, das Dennison bereits im Mai 2012 an Flanagan sandte. Er nehme vieles im Sender zu persönlich, schreibt Dennison. Flanagan sagte dazu: "Ich wollte kein Arschloch sein, aber das verwackelte Video war unmöglich."

Im November 2012 wurde Flanagan außerdem abgemahnt, weil er während einer Berichterstattung über die US-Wahl einen Obama-Button gut sichtbar am Revers trug. Das entspreche nicht den journalistischen Standards des Senders, wurde Flanagan von der Chefredaktion mitgeteilt.

Beschwerden über rassistische Kommentare

Nahezu von Beginn seiner Anstellung an habe Flanagan Beschwerden gegen seine Mitarbeiter eingereicht, sagt Dennison, der heute bei einer Behörde in Hawaii arbeitet. Bei einer gründlichen Ermittlung seien aber keine Hinweise darauf gefunden worden, dass der Mann rassistisch diskriminiert worden sei. Seine beiden Opfer, die Fernsehreporterin Alison Parker und der Kameramann Adam Ward, waren weiß.

WDBJ7-TV-Manager Jeff Marks sagte dem Sender Fox News, der 41-Jährige sei ein schwieriger Mensch gewesen, mit dem man nicht gut habe zusammenarbeiten können. Der schwarze Flanagan hatte eine Beschwerde gegen die weiße Parker bei der Behörde für berufliche Chancengleichheit eingereicht. An seinen Vorwürfen sei aber nichts dran gewesen, sagt Marks.

"Bizzares Verhalten"

Der von Dennison beschriebene Konflikt bei WDBJ-TV ähnelt in vielerlei Hinsicht einem anderen aus dem Jahr 2000. Damals wurde Flanagan von einem Fernsehsender in Florida, WTWC-TV, ebenfalls entlassen. Dem Rauswurf vorhergegangen waren Drohungen gegen seine Kollegen, wie der frühere Nachrichtendirektor Don Shafer berichtet. Flanagan habe zwar gute Auftritte vor laufender Kamera hingelegt und sich auch als sehr guter Reporter ausgezeichnet. Doch dann wurde die Zusammenarbeit mit ihm ein wenig seltsam, sagt Shafer rückblickend bei seinem derzeitigen Arbeitgeber, San Diego 6 The CW.

Die Geschäftsführung entließ Flanagan nach Angaben von Shafer wegen "bizarren Verhaltens". Noch im selben Jahr verklagte er den Sender wegen rassistischer Diskriminierung. Ein Aufnahmeleiter habe ihn 1999 als "Affen" bezeichnet, andere schwarze Angestellte seien mit derselben Verunglimpfung von anderen Mitarbeitern beleidigt worden. Außerdem führte er an, ein nicht näher genannter weißer Abteilungsleiter des Senders habe gesagt, Schwarze seien faul. Die streitenden Parteien erzielten später einen Vergleich.

Der Abschiedsbrief

Einen an seine Familie, Freunde und Behörden gerichteten Abschiedsbrief schickte Flanagan auch an die Fernsehstation ABC News. Darin listet er Verbrechen gegen Schwarze auf, angefangen von einem Amoklauf an der technischen Universität von Virginia im Jahr 2007 bis hin zu dem jüngsten Massaker in einer von Schwarzen besuchten Kirche in Charleston im US-Staat South Carolina. "Ich bin seit einer Weile ein menschliches Pulverfass gewesen", schreibt Flanagan in dem Brief, "das nur darauf gewartet hat, Boom zu machen!!!!"

Nur Stunden nach dem Doppelmord und einer Verfolgungsjagd mit der Polizei richtet Flanagan die Waffe gegen sich selbst und stirbt wenig später im Krankenhaus.

Mit Material der Agenturen

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