Doping:System des Schweigens

Lesezeit: 3 min

Es ist das Jahr der öffentlichen Bekenntnisse über den organisierten Betrug im Sport. Der italienische Radprofi Ivan Basso gesteht als Erster, jahrelang manipuliert zu haben. Jörg Jaksche legt im Sommer sein Bekenntnis ab und prangert seitdem Teams, Verbände und Politiker an.

Thomas Kistner

Süddeutsche Zeitung: Herr Jaksche, war 2007 für Sie ein Jahr des Schreckens?

Jörg Jaksche legte ein umfangreiches Geständnis ab. (Foto: Foto: AP)

Jörg Jaksche: Ja, schon. Am Anfang war ich immer zwischen Hoffen und Bangen, weil ich nicht wusste, ob die Sache mit der Doping-Kronzeugenregelung wirklich funktionieren wird. Und nun das Fazit: Es lief so lala, es bleiben viele kleine Baustellen, weil es keine einheitliche Regelung gibt zu der Frage, wann die Sperre beginnt und endet. Dazu das große Antidoping-Geschrei von Leuten, die im Endeffekt doch nichts davon wissen wollen. Es war und bleibt ein permanentes Wellental.

Süddeutsche Zeitung: Wie schwer fiel es, sich zu outen? Sie hatten ja keinen positiven Dopingbefund. Sie standen aber auf der Kundenliste des spanischen Blutpanschers Eufemiano Fuentes - und haben sich dann selbst dazu bekannt.

Jörg Jaksche: Ein Motiv war die Entscheidung des italienischen Fahrers Ivan Basso, der offensiv wurde und etwas zu seiner Sache aussagte. Er wurde ja genauso heuchlerisch behandelt wie ich. Zum Beispiel, als sein Teamchef Bjarne Riis sagte, Basso und er seien die besten Freunde, sie sähen sich sogar öfter als ihre Ehefrauen und hätten keine Geheimnisse voreinander, und Riis dann sagte, als Basso mit dem Dopingproblem plötzlich alleine dasteht: "Zeig uns deine DNS, dann glaube ich an deine Unschuld" - da kann jeder seine Schlüsse daraus ziehen. Mir wurde das alles irgendwann zu viel.

Süddeutsche Zeitung: Was war Ihr Hauptproblem beim Geständnis?

Jörg Jaksche: Dass es diese Kriminalisierung des Athleten gibt. Dass versucht wird, den Problemfall einfach am Einzelathleten festzumachen und damit als gelöst darzustellen, statt auf das System dahinter zu verweisen. Während einzelne Fahrer dran sind, kommt also einer wie Patrick Léfèvre (langjähriger Rennstallchef Quick Step u.a., Anm. d. Red.) und gründet, während er in einer Zeitung mit 30 Jahren Doping in Zusammenhang gebracht wird, im selben Moment die heilige Allianz gegen Doping. Oder er tritt einer solchen bei. Da kriegst du natürlich Ausschlag.

Süddeutsche Zeitung: Ein Horrorjahr auch für den Radsport?

Jörg Jaksche:Ja. Wenn man nach all den Aktionen während des Jahres die abschließende Konfusion bei der WM im Herbst in Stuttgart sah: Darf der Spanier Valverde fahren oder nicht? Muss der Italiener Bettini die Ethik-Erklärung unterschreiben oder nicht? Das zeigte die ganze Hilflosigkeit, von allen. Und erklärt, warum der Radsport im Moment keine Linie findet, damit auch keine Glaubwürdigkeit.

Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter: Warum das Schweigegelübde im Radsport so stark ist.

Süddeutsche Zeitung: Am Ende war es bei der WM so, dass der neue Weltmeister Bettini als Einziger die Antidoping-Ehrenerklärung nicht unterschrieben hat.

Jörg Jaksche: Genau, genau. Und jeder ist ratlos: Wie machen wir Antidoping, wenn wir selber gar nicht wissen, wo es langgeht?

Süddeutsche Zeitung: Ändern die vielen Enthüllungen über die Dopingsystematik etwas im Radsport?

Jörg Jaksche: Ich glaube, dass sich etwas ändern könnte, wenn die Kronzeugenregelung auf sechs Monate gekürzt wird, und Patrik Sinkewitz und ich wieder integriert werden sollten. Man kann sportrechtlich erst einmal nichts gegen die Sportmanager machen, weil es fast keine juristisch verwertbaren Beweise gibt. Aber man kann die Leute so weit bringen, dass sie wahnsinnig Angst kriegen vor dem, was sie machen. Das kann einfacher werden, wenn Fahrer, die positiv getestet werden, sagen: "Ich packe jetzt aus, wie es Sinkewitz und Jaksche vorgemacht haben, und danach komme ich wieder zurück."

Süddeutsche Zeitung: Warum ist dieses mafiöse Schweigegelübde im Radsport so ungeheuer stark?

Jörg Jaksche: Weil im Radsport - das klingt in dem Zusammenhang ein bisschen makaber - frisches Blut fehlt. Wir alle brodeln und kochen nur im eigenen Sud. Es kommt nichts Neues von außen. Einer wie Bob Stapleton, das ist schon die große Ausnahme in den vergangenen 30 Jahren: Dass ein Manager kommt, der vorher nichts mit Radfahren zu tun hatte. Das stärkt das Schweigesystem: Seit 30 Jahren gibt es nur ein Selbstläufertum, Ältere werden durch nachkommende Jüngere aus dem Radsport ersetzt. So entsteht ein komplett abgeschottetes autonomes System. Da schaut keiner über den Tellerrand hinaus. Es heißt: Wir haben es vor 20 Jahren so gemacht, also machen wir es auch heute so. Klar, dass da kein frisches Blut reinkommen kann.

Süddeutsche Zeitung: Es heißt, in der Szene wird mit Druck und Drohungen gearbeitet ...

Jörg Jaksche: Vielleicht nicht offen mit Drohungen. Aber es wird einem schon klargemacht, dass Ehrlichkeit in keiner Weise gewürdigt wird. Sondern dass du danach arbeitslos bist. Ich habe selber erlebt, dass die Leute anrufen und sagen: "Reden bringt nichts, dann kommst du nicht wieder zurück in die Radszene." Dieser Druck ist unterschwellig, auf die Art: Junge was willst du? So eine Art Tipp. Den aber jeder kapiert.

Lesen Sie das komplette Interview in:

© Süddeutsche Zeitung 2007 - Themen des Jahres, ab 8. Dezember im Handel, 5 Euro. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Prominente Dopingfälle
:Von Johnson bis Pechstein

Die Liste der Sportler, die des Doping überführt oder verdächtigt wurden, ist lang. Eine kleine Auswahl in Bildern.

Jetzt entdecken

Gutscheine: