China:Malen nach Zahlen

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15 000 Schriftzeichen in 100 Tagen: Treue Parteimitglieder pinseln die Verfassung der KP ab - angeblich freiwillig und von Hand. Der Wettbewerb soll der Verherrlichung der Statuten dienen.

Von Kai Strittmatter, Peking

Eine Braut. Ein Bräutigam. Ein mit Seidenlaken bezogenes Bett. Darauf zwei aus weißen Handtüchern geknotete miteinander turtelnde Schwäne. Ein Stift. Ein Blatt Papier. Die Hochzeitsnacht. Warum sich nicht einfach neben das Bett setzen und Schönschreiben üben? Er im dunklen Hochzeitsanzug, sie im roten Brautkleid. Aber was bloß schreiben, mit klopfendem Herzen, wenn die Geliebte sich nähert und sich von hinten über einen beugt, mit bewunderndem Blick? Na, die Parteistatuten der Kommunistischen Partei natürlich, was für eine Frage.

Jene beglückende Stelle über den "Aufbau des Systems der sozialistischen Kernwerte" zum Beispiel. Hei, wie flog die Feder da über das Papier, in jenem Hotelzimmer in der Stadt Nanchang, an jener Stelle, wo es heißt, man müsse sich bösen Verlockungen entgegenstemmen, also "dem schleichenden Einfluss der korrumpierenden Gedanken des Kapitalismus". Und wie schwungvoll lasen sich die Schriftzeichen des Bräutigams, als er die Partei dafür pries, eine "fortschrittliche sozialistische Kultur" aufzubauen. Ja, das haben sie tatsächlich getan, in jener milden Maiennacht, die ihre erste sein sollte, Bräutigam Li Yunpeng und Braut Chen Xuanchi: Sie haben von Hand die Parteistatuten abgeschrieben. "Bei den Frischvermählten hinterließ das selige Erinnerungen an ihre Hochzeitsnacht." Stand so letzte Woche auf dem Mikroblog des Eisenbahnbüros Nanchang, wo die beiden arbeiten. Und wie es der Zufall wollte, hatte sich in ihrer Hochzeitskammer ein Fotograf versteckt, der dem beseelten Treiben beiwohnte.

Das war vor allem deshalb ein Glück, weil es sich in einen von der KP initiierten Wettbewerb fügte, der seit 1. März im ganzen Land Genossen und Gleichgesinnte dazu aufruft, die Parteistatuten handschriftlich zu kopieren. Und zwar 100 Tage lang. 15 000 Schriftzeichen zählen die Statuten. Macht also 150 am Tag. Dieser Dienstag ist übrigens Tag 84. Knapp zwei Wochen also läuft die Aktion noch, die in den Parteimedien als Teil der Kampagne "Zwei Lernen und ein Sein" läuft, was ausgeschrieben bedeutet: "Wir lernen die Parteistatuten. Wir lernen die Reden von Parteichef Xi Jinping. Und wir sind qualifizierte Parteimitglieder". Und nein, ein Gag ist der Schönschreibwettbewerb keinesfalls. Er ist vielmehr gedacht als ein Mittel der Selbstkultivierung und Hilfestellung bei der Rehabilitierung all jener Parteimitglieder, deren, so weiß es die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, "Vertrauen in den Sozialismus chinesischer Prägung ins Wanken geraten ist, außerdem jene, die westliche Werte vertreten, die Parteiregeln verletzen, ineffizient arbeiten und sich unmoralisch verhalten". Das scheinen nicht wenige zu sein.

Wieso schreibt ein Hochzeitspaar in der ersten gemeinsamen Nacht emsig die Parteistatuten ab?

Aber wenn man den Parteimedien glauben darf, dann ist der Enthusiasmus nun groß. Die Volkszeitung richtete den Mikroblog "Kleine Lerngruppe" ein, auf dem man von Tag 1 an das Schreiben des Parteivolkes verfolgen durfte. Anfangs sandten die Teilnehmer vor allem Fotos von zwar handschriftlich schönen, aber künstlerisch doch eher braven Interpretationen ein. Recht schnell jedoch übernahmen die Kreativen und verzierten die Abschrift edler Ziele ("Die Partei verbietet den Personenkult in jedweder Form") mit Herzchen, mit der Großen Mauer, mit hingetuschten Drachen, aber auch mit Pandas und einmal sogar mit einer Micky Maus.

Einer kalligrafierte im Schatten einer Mao-Statue, einer Zweiten ging der siebenjährige Sohn zur Hand, und spätestens als ein Genosse aus Shanghai zu Protokoll gab, er fühle sich "erregt und beglückt", da war klar, dass da etwas Besonderes in der Luft lag. Besonders ins Zeug legten sich die Parteimitglieder in der Uiguren- und Unruheprovinz Xinjiang. In einem Video aus einer Uniklinik dort setzten sich drei schwangere Frauen gemeinsam an die Abschrift der Parteistatuten und verkünden der Kamera dann strahlend, es gebe "keine bessere Erziehung" für das Ungeborene im Mutterleib.

Und so sieht man eifrige Schreiber aus Universitäten, Kindergärten, Museen und Elektrizitätsämtern. Und sie fotografieren ihre Abschriften vor einer Geige oder einer Gitarre, im Grasland und vor Bergen, neben Kuscheltier und Babykleid. Den Vogel schossen aber doch die beiden Frischvermählten von Nanchang ab. Dass die Spötter da nicht weit sein konnten, eh klar. "Nordkorea", ätzte im Internet einer. "Hehe, eine neue Sado-Maso-Variante" ein Zweiter. Auch der Volkszeitung, dem Zentralorgan der Partei, schien bei der Aktion nicht völlig wohl zu sein. Parteimitglieder seien irgendwie auch ganz normale Menschen, gab dort ein Kommentator zu bedenken, auch sie spürten "die Macht der romantischen Liebe". Vorsichtig fragte die Volkszeitung, warum die beiden denn ausgerechnet ihre Hochzeitsnacht dem Studium gewidmet hatten, "wo sie doch 365 weitere Tage hätten wählen können." Immerhin: Der Begriff "Die Parteistatuten abschreiben" hat so in den letzten Tagen unter Netzironikern eine ganz neue Bedeutung bekommen. Das ist allein das Verdienst von Li Yunpeng und Chen Xuanchi aus Nanchang. Das Eisenbahnbüro hat den Blogeintrag mit beiden eifrigen Turteltauben mittlerweile übrigens gelöscht.

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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