China:Im Reich der Dürre

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In China kann man sehen, zu welchem Irrsinn der Schlankheitswahn bisweilen führt. Mehr als 500 Millionen Mal wurden diese Bilder von jungen Mädchen geklickt. Wo soll das nur hinführen?

Von Kai Strittmatter

Ni pang le! Du bist dick geworden! So lange ist es noch nicht her, dass einem dieser Satz in China als begeistertes Kompliment entgegengerufen wurde. Jedes Kilo Körpergewicht ein Prestigenachweis, ein Echo der Erinnerungen an Mangelernährung und Hungersnöte. Diese Zeiten sind vorbei.

Heute ist der Satz in Chinas Städten eine Beleidigung. Die Gesellschaft des Landes ist in rasantem Tempo der westlichen ähnlicher geworden; der Schlankheitswahn mit seinen Auswüchsen ist da ein Beispiel: der Wettbewerb unter jungen Frauen, mit dem Körper gewissen Ansprüchen zu genügen. Öffentlich ausgetragen, klar. Im Netz, sowieso. Mit Selfies, womit sonst.

Manch einer fühlt sich an eine schlimme Folterpraktik von früher erinnert

Im vergangenen Jahr ging das mit dem Bauchnabeltest los, schnell kursierten Dutzende, Hunderte, Tausende Fotos im Netz: Junge Frauen, die sich dabei fotografierten, wie sie sich mit der Linken an den eigenen Bauchnabel fassten. Kinderspiel? Nicht, wenn die linke Hand dabei den Umweg über den eigenen Rücken nimmt, um von der rechten Seite nach dem Nabel zu greifen. Schlangenfrau, erste Stufe - und, so der Tenor, der Nachweis, dass man dazu gehörte, zu den Fitten und Schlanken. Als Nächstes kamen die Fotos mit der Rolle von Münzen, die sich Tausende abgemagerte Mädchen in die Grube des Schlüsselbeins legten. Die darauf folgende Fass-dir-selbst-von-hinten-herum-an-die-Brust-Übung war dann eine leicht sexualisierte Variante des Bauchnabelgrapschens. Mit der Brust ging es weiter. Die Aufgabe: Klemme dir einen Stift unter deine nackte Brust (und komponiere das Selfie so, dass keine Brustwarzen zu sehen sind). Wenn der Stift nicht herunterfällt, haben deine Brüste den Test bestanden. "Wenn es das braucht, um eine Frau zu sein", schrieb eine der Stiftklemmerinnen unter ihr Selfie, "dann bin ich eine stolze." Dann die Smartphone-Knie: Man drücke beide Knie zusammen und lege ein iPhone 6 quer darüber. Das Gerät bedeckt beide Knie? Gratuliere, knochig genug.

Mehr als 500 Millionen Klicks hatten entsprechende Bilder auf dem Mikrobloggingdienst Weibo, mehrere Hunderttausende Kommentare. Auch viele ungnädige: "Gehört es nun zum Schönheitsideal dazu, hirntot zu sein?", fragte ein Nutzer. "Warum bloß fühle ich mich hier an gebundene Füße erinnert?", bemerkte ein anderer in Erinnerung an die Praxis der vergangenen Jahrhunderte, als Chinas Frauen die Fußknochen gebrochen wurden, weil sie das für die Männer hilflos und sexuell anziehend machte.

Es gilt für all diese Memes, dass sie einen bestimmten Lebensstil zur Schau stellen: Man gehört zu den Privilegierten, die das Geld und die Muße haben, in ihren Körper zu investieren. Ein Ende der bizarren Schönheitswettbewerbe ist nicht abzusehen. Der Februar brachte die "Din-A4Taille", für die sich nur Frauen qualifizierten, deren Taille sich hinter einem hochkant gehaltenen A4-Blatt verstecken ließ. Und seit Kurzem wickeln sich die Netz-Exhibitionistinnen 100-Yuan-Scheine ums Handgelenk: Kein Millimeter Haut darf zu sehen sein. Die nächsten haben sich schon zu den kleineren Zehn-Yuan-Scheinen heruntergehungert. Und der Ein-Yuan-Schein? Dürfte nur mehr für Skelette zu schaffen sein.

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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