China:Ende einer Reise

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Ein Schiff mit mehr als 400 Passagieren an Bord kentert auf dem Jangtse. 24 Stunden später konnten nur wenige Überlebende geborgen werden. Eine der schlimmsten Katastrophen des Landes zeichnet sich ab.

Von Kai Strittmatter, Peking

"Abendrot"-Reisen, so nennen sie es in China, wenn reiselustige Rentner in Gruppen aufbrechen, um ihr Land zu erkunden. Die mehr als 400 Passagiere an Bord der Stern des Ostens waren zwischen 50 und 80 Jahre alt. Am 28. Mai waren sie aufgebrochen, zwölf Tage wollten sie unterwegs sein auf dem Jangtse, Chinas längstem Fluss, zwischen Nanjing und Chongqing, und natürlich auch die berühmten Drei Schluchten sehen. Für eine "superbillige Kreuzfahrt" hatte das Reisebüro "Harmonie Reisen" aus Shanghai geworben. Am Dienstagabend, fast 24 Stunden nachdem das Schiff bei Jianli in der Provinz Hubei gekentert war, konnten nur 15 Menschen gerettet werden. Fünf Leichen, angespült flussabwärts in der Nachbarprovinz Hunan, wurden geborgen. Die Mehrzahl der 458 Menschen an Bord aber wurde noch immer vermisst.

Starker Regen erschwert die verzweifelte Suche nach Überlebenden des Unglücks

China hatte in den vergangenen Jahren kaum größere Schiffsunglücke zu vermelden. Sollte am Ende der Tod der meisten Vermissten bestätigt werden, dann wäre dies für die Schifffahrt des Landes das größte Unglück seit fast 70 Jahren.

Staatsmedien meldeten am Montag den Einsatz von 1000 Soldaten und Polizisten, 140 Tauchern, sechs Hubschraubern und Dutzenden Booten. Die Rettungsarbeiten wurden allerdings behindert durch starken Regen. Das Fernsehen zeigte Bilder von Rettern, die auf dem aus dem Wasser ragenden Rumpf des Schiffes lagen und die Hohlräume abhörten, um kein Lebenszeichen zu verpassen. Noch am Montag seien Klopfzeichen zu hören gewesen, meldete die Nachrichtenagentur Xinhua, zwei Menschen habe man tagsüber noch gerettet, darunter eine 65-Jährige. Der Kapitän und der erste Ingenieur des Schiffes, die sich beide in Sicherheit bringen konnten, wurden in Polizeigewahrsam genommen.

Das Unglück geschah am Montagabend um halb zehn, als viele der Passagiere gerade zu Bett gehen wollten. Offenbar ging alles rasend schnell. Der Kapitän berichtete von einem Wirbelsturm, der das Schiff getroffen habe, am Dienstagabend bestätigte Chinas Wetteramt, in diesem Teil des Flusses habe für 15 bis 20 Minuten ein Wirbelsturm der Stärke zwölf getobt. Offenbar versuchte das Schiff gerade zu wenden, als es umgeworfen wurde und innerhalb von zwei Minuten sank.

Das 1994 gebaute vierstöckige Touristenschiff gehörte einer staatseigenen Schiffsgesellschaft in Chongqing. Xinhua meldete, das Schiff sei laut ersten Untersuchungen nicht überladen gewesen, es habe es genug Schwimmwesten an Bord gegeben. In chinesischen Medien begannen allerdings sofort die Spekulationen. Das Portal Sina meldete, die Wetterwarte Jingzhou habe bereits zwei Stunden vor dem Unglück vor einem starken Sturm in dem Flussabschnitt gewarnt. Die Chutian Stadtzeitung berichtete von einer zweiten Reisegruppe aus der Provinz Jiangxi, deren Schiff am Montag gemeinsam mit der Stern des Ostens losgefahren war. Der Kapitän des zweiten Schiffes habe dann jedoch wegen des schlechten Wetters im Ort Chibi angedockt und den Sturm dort ausgesessen. Die Stern des Ostens hingegen habe keine Zeit verlieren wollen.

Die Führung von Partei und Staat gab sich am Montag große Mühe, aktiv aufzutreten. KP-Chef Xi Jinping wies die Behörden an, aus dem Unglück ihre "Lektionen zu lernen". Premier Li Keqiang reiste an den Unglücksort. Die Reaktion der Staatsführung auf Katastrophen war in der Vergangenheit oft als zögerlich und wenig mitfühlend kritisiert worden.

Das Unglück nun wird sie erneut auf die Probe stellen. Eine Schiffskatastrophe von diesem Ausmaß gab es in China jedoch seit 1948 nicht mehr: Damals herrschte Bürgerkrieg, der Dampfer Kiangya lief im Huangpu-Fluss bei Shanghai auf eine Mine auf, mehr als 2000 Menschen starben.

© SZ vom 03.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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