Campino in Dresden:Bad News

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Hausfriedensbruch? Campino, 55, Sänger der Toten Hosen, lässt sich in nassen Hosen in tiefer Nacht am Beckenrand eines Dresdner Freibads ablichten. Bei den unkenntlich gemachten Personen neben ihm handelt es sich weder um Wolfgang Niedecken, noch um Rainer Langhans. (Foto: Bastian Bochinski/Instagram)

Weil er nachts in ein Freibad eingedrungen ist, hat Sänger Campino eine Strafanzeige am Hals. Aber: Hat das nicht jeder von uns schon mal gemacht? Über ein Grundbedürfnis.

Von Martin Zips

Zum Beispiel das Freibad in Kirchen-Wehbach. Vor 30 Jahren noch gab sich hier Sommernacht für Sommernacht die Dorfjugend die Klinke in die Hand. Wobei: Meistens war das Gatter abgesperrt, also sprang man in der Dunkelheit einfach drüber. Gebadet wurde nackt und ohne Angst vor der rheinland-pfälzischen Polizei, denn die schaute nie vorbei. Dafür traf man gelegentlich auf die Damen und Herren vom Wehbacher Freibad-Unterstützer-Verein. "Hör' ma'", begrüßten die, ebenfalls hüllenlos, alle vom Beckenrand hüpfenden Jugendlichen - selbst noch nachts zwischen zwei und drei. "Auf der Fensterbank steht ein Aschenbecher. Schmeißt da bitte ein paar Münzen rein." Wurde gemacht. Kommunale Freibäder waren schon damals defizitär.

Am vergangenen Wochenende nun ist der Düsseldorfer Punkrocker Campino nachts mit nassen Hosen unterwegs gewesen. Nach einem Konzert in Dresden suchte er ein (bereits geschlossenes) Freibad auf, vielleicht sprang er sogar übers Gatter. Nun hat er eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs am Hals. "Baden gehen in Dresden" steht neben dem Bild, das über den offiziellen Twitter-Account von Campinos Band Die Toten Hosen verbreitet wurde. Darauf zu sehen: der 55 Jahre alte Sänger mit jungen weiblichen Fans am Beckenrand. Doch so richtig überraschend ist für den Betrachter eigentlich nur, dass alle Abgebildeten selbst um 1.54 Uhr noch über ausreichend Badetextilien verfügen. Außerdem findet sich nirgendwo ein Aschenbecher auf einer Fensterbank.

Der Sprecher der Dresdner Bäder GmbH betont nun, es spiele gar keine Rolle, wie prominent ein nächtlicher Einbrecher sei. Hausfriedensbruch sei Hausfriedensbruch. Campino könne aber gerne mal anrufen und seine Sicht der Dinge schildern. Der Musiker darf sich wirklich glücklich schätzen, dass sich nach Großvater und Vater auch sein Bruder mit der Juristerei gut auskennt. Wenn auch nur im Bereich Insolvenzrecht.

Im hessischen Freibad Krofdorf-Gleiberg sei quasi immer "Kirmes"

Und doch: Es gibt sie noch, die jugendlichen Nachtbader, den Schwarzen Block des dunkelblauen Beckens. Im hessischen Freibad Krofdorf-Gleiberg sei dieser Tage quasi immer zwischen 22 und fünf Uhr morgens "Kirmes". So war es dieser Tage im Gießener Anzeiger zu lesen. Anwohner und Schwimmmeister äußerten die Bitte, dass vielleicht nicht bei jedem Sprung laut geschrien und dies und das nicht absichtlich zerstört werden müsse - das habe man früher ja auch nicht getan. Es stimmt: Selbst tagsüber erwirtschaftet ein deutsches Freibad durchschnittlich kaum noch ein Viertel seiner Kosten. Warum also nachts kostenlos und ausgelassen vom Brett hüpfen? Immerhin: In Sachen Vandalismus konnte die Dresdner Bäder GmbH Campino bisher gar nichts nachweisen. Und glücklicherweise ist in der Nacht auch niemandem etwas passiert.

Erfrischung, Entspannung, Säuberung, Kommunikation - das gemeinsame Bad, das wussten schon die Römer, ist wichtig für ein glückliches Menschsein. "Was ist großartiger als Neros Thermen?", schrieb einst der römische Dichter Martial. Und Horaz wusste: "Bäder, Wein und Liebe zerstören unsern Leib, und das Leben machen doch nur Bad, Wein und Weib." Sicher: Weib sagt man heute nicht mehr.

Nächtliche Gespräche am Sprungbrett? Küsse unter Wasser? Ein Traum

Wer aber einmal den Hochsommer auf der griechischen Insel Lesbos verbracht hat, der weiß, dass keine Zeit besser für ein gemeinsames Bad geeignet ist als die Zeit nach Mitternacht. Da versammelt sich halb Plomari zur Abkühlung und zum erfrischenden Dialog im Meer. Tagsüber wäre es am Strand zu voll. Und viel zu heiß.

Egal also, wie man es dreht und wendet: Die menschliche Sehnsucht nach dem Abtauchen in die sommerwarme Dunkelheit bleibt auch 2018 weiter riesig und kann durch Strafanzeigen, Bewegungsmelder und Alarmanlagen höchstens gebremst, nie aber ganz gestillt werden. Philosophische Gespräche auf dem Sprungbrett in sternklarer Nacht wie "Nach fünf im Urwald" mit Franka Potente und Max Urlacher im Film von Hans-Christian Schmid? Unersetzlich. Spätabendliche Küsse über und unter Wasser mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes in "Romeo und Julia" von Baz Luhrmann? Ein Traum.

Selbstverständlich verfügt nicht gleich jeder Düsseldorfer Punkrocker über eine eigene Venusgrotte wie König Ludwig II. auf Schloss Linderhof oder zumindest über ein Becken mit Luftmatratze wie Dustin Hoffman in "Die Reifeprüfung". Da muss man eben schon mal ins Stadtbad ausweichen. Selbst ein gemieteter Pool wie der von Romy Schneider und Alain Delon in "La Piscine" ist alles andere als selbstverständlich. Man muss es ja nicht gleich so doll treiben wie der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der einmal erzählte, wie er einst aus einer nächtlichen Laune heraus "ein Paket Waschpulver ins Freibad geschüttet" habe. Derlei wäre wohl selbst für die sonst extrem toleranten Anwohner des Freibads Krofdorf-Gleiberg ein Zuviel des Schabernacks.

Das Freibad in Kirchen-Wehbach gibt es heute übrigens nicht mehr. Abgerissen, da unrentabel. Ein paar Kilometer weiter existiert ein Frei zeitbad mit "Cabrio-Dach" statt Außenbecken. Aschenbecher finden sich dort wirklich keine mehr.

© SZ vom 06.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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